Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15

zm 108, Nr. 15-16, 16.8.2018, (1800) Amalgamfüllungen dürfen – bis auf zwingende medizinische Indikatio- nen – laut EU-Kommission nicht mehr bei Schwangeren und stillenden Frau- en eingesetzt werden. Alternativ wer- den zahnfarbene Kompositmateria- lien angewendet. Wie sieht es hier mit der Toxizität aus? Prof. Georg Meyer: Nach bisherigen Kennt- nissen können weder Amalgam- noch Kom- positfüllungen als toxisch und damit als un- geeignet für die Patientenbehandlung qua- lifiziert werden. Wie jede medizinische Maß- nahme, angefangen von Medikamenten- einnahmen über das Röntgen bis hin zu chirurgischen Eingriffen, sind auch zahn- ärztliche Füllungen ein Kompromiss am menschlichen Körper mit dem Ziel, den medizinischen Nutzen des Einsatzes und die Risiken einer Behandlung mit nachge- wiesenermaßen weniger geeigneten Mate- rialien oder gar einer Nichtbehandlung ge- geneinander abzuwägen und zu einer für den individuellen Patientenfall optimalen Entscheidung zu gelangen. Daraus folgt übrigens, dass Prävention mit dem Ziel, natürliche Zähne zu erhalten, die beste Alternative zu jeglicher Füllungstherapie ist. Folgerichtig wurden im Minamata- Protokoll für die Zahnmedizin die FDI-Vorga- ben übernommen, dass nämlich ein Herun- terfahren („Phase down“) der Amalgamver- wendung letztendlich nur einhergehen kann mit einer entsprechenden Ausweitung der Anstrengungen in der Prävention. Zur eingangs gestellten Frage einer Füllungs- therapie bei Schwangeren und stillenden Frauen ist anzumerken, dass es keine seriösen wissenschaftlichen Studien gibt, die ein Risiko von Amalgam oder Komposit in diesem Zeitraum nachweisen. Es gibt für beide Werkstoffgruppen nur mehr oder weniger vage Hinweise, die allein aus Gründen des vorbeugenden Gesundheitsschutzes eine Anwendung in der Schwangerschaft und auch in der Stillzeit nicht empfehlen. Eine biomedizinisch seriösere Alternative sind reine – also unmodifizierte und nicht lackierte – Glasionomerfüllungen. Über toxische Potenziale zahnärztli- cher Füllungsmaterialien wird seit Jahrzehnten diskutiert. Denn einerseits findet die Wissenschaft oft keine ein- deutigen Belege für konkrete Schädi- gungen, andererseits kann die Mög- lichkeit toxischer Wirkungen auch nie ganz ausgeschlossen werden. Woran liegt es, dass es anscheinend weltweit keine seriöse Studie gibt, die eine Un- bedenklichkeit von Amalgam oder Komposit für den menschlichen Fötus bestätigt? Solche Untersuchungen gibt es in der Tat nicht und es kann sie allein schon aus ethi- schen Gründen nicht geben. Man stelle sich doch einmal folgendes Studiendesign vor: 20 Schwangere werden in eine experimen- telle und in eine Kontrollgruppe à 10 Perso- nen eingeteilt. Die Experimentellen bekämen jede Woche neue Amalgam- beziehungs- weise Kompositfüllungen, um deren Folgen für die fetale Entwicklung wissenschaftlich abzuklären ... Die Argumente in der Amalgamdiskus- sion sind weitgehend bekannt. Welche Problematik vermutet man bei den Kompositen? Zuallererst wird derzeit – unabhängig von der Zahnmedizin – auf die Weichmacher- problematik fokussiert und hier insbesonde- re auf das Bisphenol A (BPA), das sogar schon als das „Quecksilber des 21. Jahrhunderts“ tituliert wird. Dabei geht es um endokrine Wirkungen, denn das BPA koppelt sich bei- spielsweise an Östrogenrezeptoren an und täuscht dem Körper somit eine falsche Hor- monsituation vor. Weiterhin konnte in Ratten- versuchen experimentell Molaren-Inzisiven- Hypomineralisation (MIH) erzeugt werden, wenn in bestimmten Stadien der Zahnent- wicklung pränatal beziehungsweise postnatal BPA zugeführt wurde. Das alles sind in erster Linie allgemeine Konsequenzen unseres Plastikzeitalters, aber auch die Zahnmedizin kann sich dem nicht ganz entziehen beim Einsatz von Kompositfüllungen. ? ? ? Prof. Georg Meyer zur EU-Quecksilber-Verordnung „Auch Füllungen sind ein Kompromiss am menschlichen Körper!“ Wie jede medizinische Intervention ist auch das Einbringen zahnärztlicher Füllungen ein Kompromiss, bei dem man Nutzen und Risiken gegeneinander abwägen mussn. Einerseits sei die Industrie gefordert, bessere Materialien zu entwickeln, andererseits sollte das Herunterfahren der Amalgamverwendung mit verstärkten Anstrengungen im Bereich der Prävention verbunden werden, fordert Prof. Georg Meyer. Foto: Fotolia – oksanazahray Prof. Dr. Dr. h.c. Georg Meyer gilt als führen- der Amalgam-Experte. Foto: privat 88 Zahnmedizin

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