Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 15
zm 108, Nr. 15-16, 16.8.2018, (1809) tose“ prägte. Auch wenn Weski schwerlich als Schöpfer dieser Termini gelten kann, war er es doch, der sie in die klinische Fachsprache einführte und näher definierte. Demnach stand die „Paradentose“ nach Weski für alle marginalen Veränderungen am Parodont, wobei er zwischen einer „Atrophia paradentii marginalis totalis“ und einer „Atrophia pa- radentii marginalis partialis“ (mit und ohne „Taschenvertiefung“) differenzierte. Darüber hinaus unterschied er zwischen supra- und infraalveolären Taschen sowie zwischen ulzerierten und nicht-ulzerierten Taschen- wänden. Den bis dahin weit verbreiteten Begriff „Alveolarpyorrhoe“, der im Wesent- lichen für den Eiterfluss aus Zahnfleisch- taschen gebraucht worden war, lehnte er ab [Koch, 1969]. Mit den parodontalen Krankheitsbildern beschäftigte sich Weski in seinem bahn- brechenden Beitrag „Die chronischen margi- nalen Entzündungen des Alveolarfortsatzes mit besonderer Berücksichtigung der Alveolar- pyorrhoe“ innerhalb der „Röntgenologisch- anatomischen Studien aus dem Gebiete der Kieferpathologie“ [Weski, 1921b, 1922]. Weg- weisend waren Schriften wie „Die Röntgen- diagnostik bei marginalen Paradentosen“ [Weski, 1921a, Witt, 1939]. Vor allem Weskis Terminus „Paradentose“ wurde kritisiert, weil er nicht an entzündliche Erkrankungsformen denken lasse. Dennoch wurde dieser Begriff 1931 auf Antrag der Terminologie-Kommission der F.D.I. offiziell empfohlen – auch, weil man ihn für gut etabliert und international verständlich er- achtete. In Paris war damit „zum ersten Mal eine Erkrankung des Zahnhalteapparates in seiner Gesamtheit anerkannt worden. ‚Para- dentium‘ im Sinne Weskis war jetzt offiziell Nomenklatur“ [Koch, 1969]. Dabei ist wich- tig, dass Weski unter „Paradentium“ den ge- samten Zahnhalteapparat verstand, also das Zahnfleisch, den Alveolarknochen, die Wur- zelhaut mit den Sharpey-Fasern und das Wurzelzement. Den Terminus „Paradentose“ benutzte Weski für alle Erkrankungen des Zahnhalteapparats, das heißt für entzündliche und nicht-entzündliche Erscheinungsbilder. Auch wenn seine Kritiker behaupteten, dass der Begriff „Paradentose“ ausschließlich de- generative Krankheitsbilder beinhalte, ist zu betonen, dass es in der Medizin viele Begrifflichkeiten gab – und gibt –, die das Suffix „-ose“ tragen und trotzdem entzünd- liche Krankheitsbilder subsumieren (etwa Thyreose, Dermatose). Das zweite Verdienst Weskis bestand darin, die radiologische Diagnostik für die Paro- dontologie fruchtbar gemacht zu haben. Auch die 1928 von Weski aufgestellte „Konstitutionsformel der Paradentose“ ging in die Geschichte ein. Sie bezeichnete die Hypothese, dass der Parodontose ein „endogener Ursachenkomplex“ zugrunde liege, womit Weski auf die komplexen ätio- logischen Hintergründe von Parodontal- erkrankungen abhob [Koch, 1969]. Es ging ihm darum, deutlich zu machen, dass Dis- position und Konstitution bei der Entstehung von Parodontalerkrankungen eine große Rolle spielen. Seine Diagnostik umfasste einen „Dreiklang“ aus anatomisch-radiologischem Lokalbefund, funktionellem (Artikulations-) Befund und klinischem Bild, wobei Letzteres in einem „Paradentose-Status“ festgehalten wurde. Den PA-Status hatte Weski bereits 1925 entwickelt. Diese diagnostische Trias korrespondierte mit einer therapeutischen Trias aus Lokaltherapie (etwa Taschenaus- räumung), Entlastungsbehandlung (etwa Beseitigung von Artikulationshindernissen beziehungsweise Schienung) und Intern- behandlung (mit diversen „lokal-umstim- menden“ Methoden) [Koch, 1969]. Auch in institutioneller Sicht wirkte Weski als Pionier: 1924 gründete er mit zwei Kollegen die „Arbeitsgemeinschaft für Paradentosen- Forschung“ (ARPA), die mit dem „Paraden- tium“ ein eigenes Organ hervorbrachte. Ihr folgte, ebenfalls auf Weskis Initiative, 1932 die erste Tagung der „ARPA Internationale“, die Weski 1939 zu seinem 60. Geburtstag zum Ehrenmitglied ernannte. Die deutsche ARPA hatte bis 1970 Bestand; ihr folgte die „Deutsche Gesellschaft für Parodontologie“ [Koch, 1969; Groß/Schäfer, 2009]. Außerdem setzte Weski sich für eine syste- matische Behandlung der Zahnbetterkran- kungen im Rahmen der Sozialversicherung ein. So kam 1932 ein „PA-Vertrag“ zwischen dem „Reichsverband der Zahnärzte Deutsch- lands“ und dem „Verband kaufmännischer Berufskassen“ zum Abschluss. Weitere Verträge dieser Art folgten. Basis jeder PA-Behandlung wurde der besagte PA-Status [Koch, 1969]. Ab Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Weskis Termini sukzessive ersetzt. Statt „Paradentium“ setzte sich „Parodontium“ durch. Dabei wurde nun explizit auf den Begriff „Parodontitis“ abgehoben und betont, dass das Suffix „-itis“ für entzündliche und die Endung „-ose“ für atrophisch-degenerative Prozesse stehe. Umgangssprachlich blieb der Begriff „Parodontose“ jedoch weiterhin lebendig. Zu diesem Zeitpunkt hatte Weski seine prä- gende Rolle im Fach Parodontologie längst eingebüßt. Er musste sich eingestehen, „daß man ihn in seinem Denken und in seinen Leistungen nicht nur eingeholt hatte, sondern daß die Entwicklung [...] stürmisch weiter- ging“ [Koch, 1969]. Dies korrespondiert mit der Tatsache, dass Weski nach dem Zweiten Weltkrieg nur noch zwei – wenig beachtete – Fachbeiträge veröffentlichte. Stattdessen wurden ihm diverse Ehrenmitgliedschaften angetragen, etwa 1948 von der ARPA, aber auch von vielen Fachgesellschaften des Auslands. Doch derartige Auszeichnungen konnten nicht darüber hinwegtäuschen, dass Weski in seinen letzten Lebensjahren zu einem einsamen Mann geworden war, der das Gefühl hatte, „nur noch als ‚Ehrengreis‘ herumgereicht zu werden“ [Koch, 1969]. Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Medizinische Fakultät RWTH Aachen University MTI II, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 97
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