Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17
zm 108, Nr. 17, 1.9.2018, (1916) einer konservierenden Füllungsversorgung und der Überkronung oft fließend sind, dürfte nun fachlich unstrittig sein. Genauso unstrittig ist jedoch der Grundsatz, dass die Therapieentscheidung beziehungsweise die der Patientin anempfohlene Therapieform aus rein fachlichen Erwägungen resultieren sollte und Fragen der Gewinnoptimierung in diesem Entscheidungsgang keinen Platz haben. Überträgt man diese Feststellungen auf das Verhältnis der beiden beteiligten Zahnärzte, bleibt festzuhalten, dass Zahnärztin B. weder das Vertrauensverhältnis der Patientin zu Dr. M. beschädigt, noch ihren Chef desavouiert, wenn sie im Aufklärungsgespräch genau diese fließenden Grenzen und den indivi- duellen fachlichen Ermessens- beziehungs- weise Beurteilungsspielraum eines jeden Zahnarztes akzentuiert. Diese umfängliche Aufklärung ist auch im Hinblick auf das Prinzip Patientenautonomie wichtig und notwendig: Letztlich ist es nicht die Entscheidung des Zahnarztes Dr. M. oder seiner Angestellten Zahnärztin B., welche Form der Therapie zur Ausführung kommt, sondern allein die Patientin ist auf der Grundlage der ihr verständlich und neutral vermittelten fachlichen Einschätzung und Therapieoptionen in die Lage zu versetzen, im Sinne eines „Informed Consent“ und des „Informed Decision Making“ über die Ein- griffe an ihrem Körper zu entscheiden. Diese Entscheidung bindet den behandelnden Zahnarzt, so dass die Frage nach einer Be- handlung durch Zahnärztin B. gegen deren eigene Überzeugung und ihr Gewissen sicherlich etwas zu apodiktisch gestellt ist. Im Zweifel ist ein Arzt oder Zahnarzt ethisch wie auch standesrechtlich immer dem eigenen Gewissen verpflichtet, allerdings darf bei allen fachlichen Kontroversen und Diskussionen sowie der Berufung auf die ärztliche Therapiefreiheit niemals der Patient, um dessen Wohl es am Ende geht, in den Hintergrund rücken. Aus dem Gesagten resultieren auch die Ableitungen zum Prinzip Gerechtigkeit : Die Patientin hat den Anspruch auf eine schadens- und risikogerechte Behandlung – dies nicht nur in fachlicher Hinsicht, son- dern auch in Bezug auf die damit verbun- denen wirtschaftlichen Belastungen. Dieser Aspekt berührt, je nach Versicherungsform und Kostenträgerschaft, auch die Interessen der Solidargemeinschaft, die im Falle einer Überversorgung unnötig belastet würde. Zahnärztin B. hat einen Anspruch darauf, nicht nur als Erfüllungsgehilfin oder verlän- gerter Arm des Praxisinhabers funktionali- siert, sondern vielmehr als eigenständige Zahnärztin und Kollegin geachtet zu werden. Kollegialität und Eigenverantwortung wer- den auch durch wirtschaftliche Abhängig- keit und Hierarchien im Arbeitsverhältnis nicht außer Kraft gesetzt. Dr. M. wiederum muss als Träger des wirtschaftlichen Risikos und Gesamtverantwortlicher für die Praxis als Unternehmen selbstverständlich auch die Rentabilität und Wirtschaftlichkeit im Blick haben, um die eigene Existenz sowie die Arbeitsplätze seiner angestellten Zahn- ärztin und des zahnmedizinischen Assistenz- personals nicht zu gefährden. Diese Gefähr- dung wird allerdings durch solche Einzel- entscheidungen und Grenzfälle auch nicht entstehen, vielmehr muss es das Ziel sein, eine dauerhaft ausgewogene Praxisphilosophie und Praxisführung zu erreichen. In der vorliegenden Situation sollte Kollegin B. ein Gespräch mit Dr. M. herbeiführen, das sicherlich besser in der Anbahnung oder zu Beginn des Arbeitsverhältnisses geführt worden wäre und in dem die gegenseitigen Erwartungen hinsichtlich der Therapiefreiheit, der therapeutischen wie wirtschaftlichen Freiräume, des Fehler- und Konfliktmanage- ments und der Ausgestaltung des kollegia- len Miteinanders reflektiert und abgeklärt werden. Nur auf dieser Basis lassen sich auf Dauer Missverständnisse und Dissonanzen, Enttäuschungen und frustrane Erfahrungen auf beiden Seiten vermeiden. Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth Zentrum für Militärgeschichte und Sozial- wissenschaften der Bundeswehr Zeppelinstr. 127/128 14471 Potsdam vollmuth@ak-ethik.de Alle bisher erschienenen Fälle lesen Sie hier. Ethische Falldiskussionen M EHR AUF ZM - ONLINE Foto: Bayer Der Arbeitskreis verfolgt die Ziele: das Thema „Ethik in der Zahnmedizin“ in Wissenschaft, Forschung und Lehre zu etablieren, das ethische Problembewusstsein der Zahnärzteschaft zu schärfen und die theoretischen und anwendungs- bezogenen Kenntnisse zur Bewältigung und Lösung von ethischen Konflikt- und Dilemmasituationen zu vermitteln. www.ak-ethik.de Arbeitskreis Ethik Foto: iStockPhoto.com - Sasun1990 76 Praxis
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