Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 108, Nr. 18, 16.9.2018, (2090) Die Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation stellt den behandelnden Zahnarzt vor eine therapeutische Herausforderung. Zur Ent- scheidungsfindung müssen verschiedene Faktoren gegeneinander abgewogen und letztendlich eine für alle Seiten zufrieden- stellende Lösung gefunden werden. Schmelzbildungsstörungen stellen für die betroffenen Patienten sowohl ein nicht zu unterschätzendes ästhetisches Problem als auch eine große Belastung durch frühe und aufwendige zahnärztliche Behandlungen dar. Die Frage nach der adäquaten Versorgung der betroffenen Zähne hat eine große Bedeutung: Mit welchemMaterial und zu welchem Zeit- punkt sollte versorgt werden? Einerseits droht rascher posteruptiver Substanzverlust, die Mundhygiene ist oft mangelhaft, dadurch die Kariesanfälligkeit zusätzlich erhöht. Auf der anderen Seite kann die Kooperations- bereitschaft der jungen Patienten durch Hypersensibilität und damit verbundene, vorausgegangene negative Erfahrungen stark eingeschränkt sein. Bevor mit der Behandlung begonnen wird, sollte in schweren Fällen zunächst mit einem Kieferorthopäden abgeklärt werden, ob die Zähne überhaupt erhaltungswürdig sind. Bei einem sich entwickelnden Engstand ist es manchmal sinnvoll, die Zähne zu gegebener Zeit zu extrahieren. Lokalisationen von MIH Bei der Mineralisationsstörung MIH (auch Molar-Incisor-Hypomineralisation, Molar- Schneidezahn-Hypomineralisation, manch- mal auch „Chees-Molars“), treten vor allem an permanenten Inzisiven und ersten Molaren Schmelzbildungsstörungen unklarer Genese auf. Es sind ein bis vier Sechsjahresmolaren betroffen, oft in unterschiedlichem Ausmaß, häufig kombiniert mit den bleibenden Frontzähnen. Die Oberkiefer-Frontzähne sind öfter beteiligt, seltener die Unterkiefer- Frontzähne. Wesentlich seltener sind Milch- zähne betroffen (MMH). Im Zuge steigender Neuerkrankungsraten sind MIH-Defekte allerdings inzwischen für alle Milch- und bleibenden Zähne beschrieben worden. Da die Defekte der Schneidezähne meist milder ausgeprägt sind, stellen sie, wenn überhaupt, nur ein kosmetisch/ästhetisches Problem dar. Die betroffenen Schmelzareale können bei kleineren Defekten mit Kompo- siten oder bei flächigeren und/oder dunkleren Defekten mit Veneers versorgt werden. Prävalenz Die MIH-Erkrankung wurde erstmals in den Achtzigerjahren beschrieben [Krämer, 2018]. Die Literaturangaben zur Prävalenz schwan- ken stark – je nach Studie und Bewertungs- kriterien sind Prävalenzen zwischen 3,6 und 37 Prozent zu finden. Dabei sind die Neu- erkrankungsraten im Steigen begriffen. Nannte eine Studie von Pieper aus dem Jahr 2008 noch Prävalenzen von 0,6 bis 5,6 Pro- zent für Deutschland [Pieper, 2008], zeigen aktuelle Studien, dass inzwischen 10 bis 15 Prozent der Kinder an MIH leiden. „Die jüngste DMS-V-Studie zur Mundgesundheit berichtet über knapp 30% (!) der 12-jährigen Kinder, die diese Strukturanomalie haben. Bezogen auf die Mundgesundheit und die Lebensqualität der Kinder ist MIH mittlerweile ein größeres Problem als Karies in dieser Altersgruppe.“ [Krämer, 2018] Klinisches Erscheinungsbild Das Problem der MIH findet in der Minerali- sationsphase der Zahnkronen statt, das Zeit- fenster reicht vom achten Schwanger- schaftsmonat bis zum fünften Lebensjahr. Angenommen wird, dass Ameloblasten in dieser Phase teilweise irreversibel zerstört werden und andere sich wieder „erholen“ können – somit kann das klinische Erschei- nungsbild unterschiedlich sein und auch der Schweregrad innerhalb einer Mundhöhle. Die Farbe der Schmelzoberfläche variiert von creme-weiß über gelb bis braun. Je dunkler die Farbe, desto poröser die Zahnsubstanz und desto größer die Gefahr posteruptiver Substanzverluste. Je mehr Molaren betroffen sind, desto größer wiederum ist die Gefahr, dass die Inzisivi mit betroffen sind. Der hypo- mineralisierte Schmelz hat im Vergleich zu normalem Schmelz einen niedrigeren Kalzium- und Phosphorgehalt sowie einen höheren Kohlenstoffanteil. Die mechanische Belast- barkeit des betroffenen Schmelzes ist herabgesetzt, wodurch es unter normaler Kaubelastung zu Schmelzabsprengungen kommen kann. Teile des betroffenen Zahn- schmelzes können kurz nach dem Zahn- durchbruch unter der Einwirkung von Kau- kräften verloren gehen, dies führt zu Dentin- freilegungen. Betroffene Molaren können empfindlich auf thermische, chemische und mechanische Reize reagieren. Oft kann schon die Zahn- Eine therapeutische Herausforderung in der Kindersprechstunde Behandlung von MIH-Patienten Sarah Gronwald Der Beitrag geht auf die Grundlagen der Molaren-Inzisiven-Hypomineralisation (MIH) ein und stellt die unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten anhand von zwei Patientenfällen, ein vierjähriger Junge und ein neunjähriges Mädchens, vor. Alle Fotos: Gronwald, ZFZ Stuttgart 78 Zahnmedizin

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