Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18

zm 108, Nr. 18, 16.9.2018, (2110) Eine Wurzelkanalbehandlung an den unteren Schneide- und Eckzähnen findet mit einer Inzidenz von 1 bis 4 Prozent im Vergleich zu anderen Zahngruppen kaum statt. [Al Neggrish, 2002; Wayman et al., 1994; Kirkevang et al., 2001; Hollanda et al., 2008]. Ursache könnten die für die Zahn- reinigung gut erreichbare anatomische Lage und die kariesprotektive Wirkung des Speichels sein. Die primär kariös bedingte mikrobielle Infektion der Pulpa an den Frontzähnen im Unterkiefer ist deshalb eher selten. Erst im höheren Lebensalter nach Freilegung der Wurzeloberflächen und reduzierter Mundhygiene oder vermin- derter Speichelproduktion als Folge einer medikamentösen Beeinflussung oder Tumor- therapie sind kariöse Defekte häufiger zu beobachten. Im jugendlichen Gebiss zählen Zahnhart- substanzverletzungen infolge eines akuten oder auch chronischen Zahnhartsubstanz- traumas zu den größeren Risiken für eine mikrobielle Infektion der Pulpa [Six et al., 2001; Mjör, 2002; Ørstavik & Pitt-Ford, 2008]. Dann können insbesondere bei kariesfreien Schneidezähnen nach Dentin- freilegung Mikroorganismen die weit offenen Dentintubuli penetrieren und eine Pulpanekrose provozieren (Abbildungen 1 und 2). Als weitere Risikofaktoren für eine mikrobielle Infektion zählen Strukturanomalien wie zum Beispiel Dens invaginatus [Chaniotis et al., 2008; Carvalho-Sous et al., 2009], Amelo- genesis imperfekta, Dentinogenesis imper- fekta und Zahnkeimpaarungen [Peyrano & Zmener, 1995]. Auffällig in den Studien zur Kontrolle des Erfolgs endodontischer Thera- pien ist, dass Wurzelkanalbehandlungen an unteren Schneidezähnen die größten Miss- erfolgsergebnisse aufweisen [Ng et al., 2011]. Als Gründe werden hier die geringe Größe der Zähne und die variable Anatomie des Wurzelkanalsystems vermutet. Erste Beschreibungen zur Anatomie menschlicher Wurzelkanalsysteme liegen von Carabelli aus dem Jahr 1844 vor. 1870 beschreibt Mühlreiter nicht nur die äußere Form, sondern weist auf die Besonderheit der Aufteilung in zwei Wurzelkanäle inner- halb der Wurzel hin. Es folgten vor allem Untersuchungen zur Anatomie des Wurzel- kanalsystems mit der Transparenzmethode [Hess, 1917; Vertucci, 1984]. Hierbei wird in unterschiedlichen Verfahrensschritten das Dentin entkalkt und getrocknet. Nach einer Farbinjektion in das Wurzelkanalsystem wurde das Dentin transparent gemacht. Die dann zumeist sehr anschaulichen Präparate wurden als Grundlage zur Beurteilung der Anzahl der Wurzelkanäle und zum Verlauf genutzt (Abbildung 3). Aktuell werden häufig Rekonstruktionsver- fahren mit einem Mikro-CT angefertigt, um die Anatomie der Zähne in situ zerstörungs- frei untersuchen zu können (Abbildung 4). Klinische Untersuchungen werden heute mit DVT-Aufnahmen unterstützt. Die Auf- lösung – oder auch Voxelgröße – mit bis zu 80 μm darf jedoch nicht darüber hinweg täuschen, dass durch natürliche Bewegun- gen des Patienten (wie Atmung und Puls) eine sichere Darstellung der Anzahl und Ver- zweigungen der Wurzelkanäle unmöglich ist [Patel, 2009]. Studien auf der Grundlage von DVT-Daten sind deshalb nur Annähe- rungen an die anatomische Realität. Die Be- stimmung der Anzahl und der Aufteilung Wurzelkanalsysteme – Teil 5 Die Anatomie von Unterkiefer-Schneide- und -Eckzähnen Michael Arnold, Frank Paqué Kariöse Läsionen als Hauptrisikofaktoren für endodontische Behandlungen findet man an Unterkiefer-Frontzähnen meist erst im höheren Lebensalter. Die Endodon- tie hier hat allerdings ihre Tücken: Wurzelkanalbehandlungen an den unteren Schneidezähnen weisen die größten Misserfolgsergebnisse auf. Ein guter Grund, um sich die Anatomie der Wurzelkanäle einmal näher anzuschauen. Foto: Frank Paqué 98 Zahnmedizin

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