Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20
zm 108, Nr. 20, 16.10.2018, (2344) entlassen. Im Rahmen der Verlaufskontrollen zeigte er sich absolut beschwerdefrei. Kli- nisch fanden sich allseits reizlose und dichte Schleimhautverhältnisse ohne freiliegenden Knochen (Abbildung 6) bei regelrechter radiologischer Kontrolle mit einem har- monischen Knochenniveau und mit Rück- gang der Schleimhautschwellung im Bereich der basalen Kieferhöhle sowie der vorbeste- henden Hypästhesie im Bereich des Nervus infraorbitalis. Der Patient wünschte nach erfolgter Behandlung eine prothetische Versorgung durch den Hauszahnarzt. Diskussion Der Herpes zoster ist eine hochkontagiöse Viruserkrankung durch das Varizella-Zoster- Virus (VZV), bei der es zu einem schmerz- haften, gürtelförmigen Hautausschlag mit Bläschenbildung kommt. Die Erkrankung wird deshalb im allgemeinen Sprach- gebrauch auch Gürtelrose genannt. Das VZV ist ein DNA-Virus aus der Gruppe der Herpesviren (Humanes-Herpes-Virus-3), das beim Menschen auch die Windpocken hervorruft [Levin, 2014]. Die Viren persistieren nach der Wind- pocken-Infektion anschließend in den Spinal- und Hirnganglien und können bei einer Reaktivierung die Gürtelrose im ent- sprechenden Dermatom auslösen [Civen et al., 2009], es handelt sich somit um eine endogene Reaktivierung. Ursächlich hierfür ist meistens eine Immunkompromittierung des Patienten, zum Beispiel durch Medika- mente, Krebserkrankungen oder AIDS, aber auch traumatisch, durch Strahlung oder Stress [Attal et al., 2015]. Im vorliegenden Fall bestand ein Insulin- pflichtiger Diabetes mellitus Typ 1 und so- mit eine erhöhte Infektanfälligkeit, was zur Reaktivierung des VZV beitragen haben könnte, da in der Literatur diesbezüglich ein erhöhtes Risiko beschrieben wird [Kalra et al., 2016]. Die Herpes-zoster-Infektion tritt weltweit auf, in Deutschland erkranken etwa 400.000 Einwohner pro Jahr. Die Inzidenz liegt je nach Studie bei 4–9/1.000 Personen pro Jahr mit einem Erkrankungsgipfel ab dem 50. Lebensjahr [Ultsch et al., 2011]. Das Lebenszeit-Risiko, an einer Gürtelrose zu erkranken, liegt bei 25 bis 30 Prozent [Robert Koch-Institut, 2017]. Die Infektion führt in der Regel zu einer lebenslangen Im- munität, ein erneuter Ausbruch ist jedoch prinzipiell möglich [Yawn et al., 2011]. Herpes-zoster-assoziierte Osteonekrosen im Oberkiefer sind extrem selten, in der inter- nationalen Literatur sind etwa 50 Fälle publiziert. Der erste Fall wurde bereits 1922 durch Gonnet beschrieben [Dechaume, 1955], in vielen Kasuistiken bestand eine Immunsuppression aufgrund einer HIV- Infektion [Schwartz et al., 1989]. Auch im Unterkiefer wurden bereits Fälle beschrie- ben [Meer et al., 2006]. Typisch für eine Herpes-zoster-assoziierte Osteonekrose ist, wie im vorliegenden Fall, ein spontaner Zahnverlust, aber auch dentale Komplikationen wie Parodontitis, periapikale Läsionen, Nekrosen der Zahn- pulpa und Wurzelresorptionen kommen vor [Gupta et al., 2015]. Die Latenzzeit zwischen der Herpes-zoster- Infektion und dem Auftreten der Osteo- nekrose kann mehr als einen Monat betra- gen, durchschnittlich betrug das Zeitinter- vall 21 Tage [Siwamogstham et al., 2006]. Fast in allen Fällen ist die klinische Präsen- tation streng einseitig auf den Quadranten des betroffenen Trigeminusastes limitiert [Lambade et al., 2012] – wie auch in der vorliegenden Kasuistik. Der genaue Pathomechanismus ist noch nicht geklärt, scheint aber multifaktoriell zu sein. Vermutlich kommt es im Rahmen der Herpes-zoster-Infektion zu einer parodon- talen, destruierenden Entzündungsreaktion, sodass der parodontale Halteapparat die mastikatorischen Kräfte nicht mehr auf- fangen kann [Vickery et al., 1976]. Daneben scheint eine vaskuläre Nekrose aufgrund einer lokalen Vaskulitis, Thrombosierung, Vasokonstriktion durch eine sympathische Innervierung und mechanische Kompression der Arteria alveolaris eine Rolle zu spielen [Cloarec et al., 2014]. Therapeutisch sind die Extraktion der be- troffenen Zähne sowie die Entfernung des nekrotischen Knochens unter antibiotischer Abschirmung indiziert. Die operative Sanie- rung sollte aber erst nach Abheilung der Herpes-zoster-Infektion durchgeführt wer- den, bis dahin kann der Patient mit regel- mäßigen Lokalmaßnahmen und einer bedarfsweisen analgetischen Therapie be- handelt werden. In der Regel ist dann im Verlauf eine komplikationslose Abheilung zu erwarten, auf Defektdeckungen bei extremen Schleimhaut-Dehiszenzen mittels extraoralen Lappenplastiken, wie zum Bei- spiel mit einem Nasolabiallappen, sollte ver- zichtet werden. Dr. Dr. Sven Holger Baum Universitätsklinik für MKG- Chirurgie Essen Kliniken Essen-Mitte Henricistr. 92 45136 Essen s.baum@kliniken-essen- mitte.de An-Khoa Ha-Phuoc Universitätsklinik für MKG- Chirurgie Essen Kliniken Essen-Mitte Henricistr. 92 45136 Essen \ Der Herpes zoster ist eine häufige, hoch- kontagiöse, reaktivierte Viruserkrankung, meist bei älteren Menschen. Eine Immunsuppression sollte abgeklärt werden. \ Intraorale Komplikationen wie Zahnverlust, Osteonekrosen, parodontale Problematiken, Nekrosen der Zahnpulpa und Wurzelresorp- tionen können auftreten. \ Die Latenzzeit zwischen der Herpes-zoster- Infektion und intraoralen Komplikationen beträgt mehrere Wochen. Eine Sanierung sollte nach Abheilung der Infektion erfolgen. Fazit für die Praxis Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. Porträts: Kliniken Essen-Mitte 52 Zahnmedizin
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