Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 108, Nr. 21, 1.11.2018, (2468) dazu greift der monoklonale Antikörper Denosumab gezielt in das Gleichgewichts- system zwischen Osteoblasten und Osteo- klasten ein und mindert auf diese Weise die Bildung und Ausreifung der Knochenzellen. Die Halbwertszeit von Denosumab ist mit einigen Wochen deutlich kürzer als die der Bisphosphonate [Grötz, 2016]. Bei Patienten mit Osteoporose bewirkt die antiresorptive Therapie eine signifikante Verminderung pathologischer Frakturen, wodurch die Lebensqualität von Osteo- porosepatienten deutlich verbessert wird [Papapoulos, 2015]. Auch im Bereich der Krebstherapie haben die antiresorptiven Medikamente einen hohen Stellenwert. Diese werden sowohl zur Vorbeugung als auch in der Therapie bei Patienten mit Multiplem Myelom und soliden Tumoren mit Knochenmetastasierung (wie Mamma- und Prostatakarzinomen) eingesetzt [Stopeck, 2016]. In diesen Indikationsgebieten konnte für die antiresorptiven Medikamente eine Verminderung der Häufigkeit unerwünschter skelettaler Ereignisse (insbesondere patho- logischer Frakturen), eine Schmerzreduktion und, unter bestimmten Umständen, sogar ein lebensverlängernder Effekt belegt werden [Dearnaley, 2009]. Grundsätzlich werden diese antiresorptiv wirksamen Medikamente sehr gut vertragen und ihre Anwendung gilt als nebenwir- kungsarm. Jedoch haben sich zunächst die Bisphosphonat-assoziierten Kiefernekrosen seit den ersten gemeldeten Fällen im Jahr 2001 und den ersten Publikationen im Jahr 2003 zu einem ernsthaften klinischen Problem entwickelt [Marx, 2003]. In der vergangenen Dekade wurde auch zuneh- mend über Fälle von Kiefernekrosen unter Denosumab-Therapie berichtet [Ruggiero, 2014]. Dieser Umstand hat zu einer Ver- änderung der Definition und Nomenklatur sowie zur Bezeichnung als Antiresorptiva- assoziierte Kiefernekrose („antiresorptiva- related osteonecrosis of the jaw“: ARONJ) geführt. Noch weiter gefasst ist die Begrifflichkeit nach der „American Association of Oral and Maxillofacial Surgeons“ (AAOMS), wonach die Medikamenten-assoziierte Kiefernekrose („medication-related osteonecrosis of the jaw“: MRONJ) weitere Medikamente, ins- besondere die Gruppe der Angiogenese- hemmer (als häufiger Vertreter: Bevazicumab, Avastin®) und Tyrosinkinaseinhibitoren (als häufiger Vertreter: Sunitinib, Sutent®), berücksichtigt. Auch für diese supportive onkologische Medikamentengruppe wurden ungewöhnliche entzündliche Zustände so- wie Nekrosen im Kieferbereich beschrieben. Diese sind jedoch sehr viel seltener als die Antiresorptiva-assoziierten Kiefernekrosen [Sivolella, 2013]. Trotz der Nebenwirkung der Medikamenten- assoziierten Kiefernekrose handelt es sich bei den antiresorptiven Medikamenten um medizinisch sinnvolle Medikamente, welche die Lebensqualität und Lebenserwartung der Patienten deutlich steigern können. Die onkologischen sowie osteologischen Thera- pien müssen zunächst immer im Vorder- grund stehen und es darf nicht das Ziel sein, die Anwendung der antiresorptiven Medi- kamente dem Patienten gegenüber infrage zu stellen. Es geht vielmehr darum, die nötigen prophylaktischen, präventiven und therapeutischen Maßnahmen abzuleiten und zu optimieren, um die Sicherheit der Verwendung der antiresorptiven Medika- mente bezüglich ihres Nebenwirkungs- spektrums zu verbessern. Warum fast ausschließlich der Kieferknochen? Ein wesentlicher Schlüssel zur Optimierung der klinischen Vorbeugung und Therapie der Medikamenten-assoziierten Kiefernekrose liegt im besseren Verständnis ihrer Patho- genese. Diese ist bis heute nicht vollständig geklärt und bleibt ein wichtiger Bestandteil der aktuellen wissenschaftlichen Diskussion. Zahlreiche potenzielle Entstehungsmecha- nismen werden weiterhin diskutiert, insbe- sondere - eine übermäßige Unterdrückung des Kie- ferknochenumsatzes [Ristow, 2013; Ristow, 2014], - eine veränderte Immunabwehr bei Infek- tion [Sedghizadeh, 2008], - eine Ischämie bedingt durch antiangiogene Effekte [Hansen, 2006], - eine direkte Gewebstoxizität [Sonis, 2004] sowie - eine spezifische Infektion mit Aktinomyzeten [Panya, 2017]. Obwohl all diese Mechanismen eine Rolle im Rahmen der Pathogenese spielen könn- ten und es sich sehr wahrscheinlich um ein multifaktorielles Ereignis handelt, ist keine der genannten Theorien in der Lage, die wesentlichen mit der Erkrankung in Verbin- dung stehenden Fragestellungen endgültig zu klären. Insbesondere bleibt unklar, warum fast ausschließlich der Kieferknochen (es Vereinfachte schematische Darstellung der beiden Hauptgruppen der antiresorptiven Therapie und deren pharmakokinetische Unterschiede Applikation Wirkungsort Wirkungsweise Wirkungseintritt Halbwertzeit Handelsnamen Tabelle 1: Die pharmakokinetischen Unterschiede sind entscheidend für die Anamnese, für die Risikogruppen- zuteilung und für eine mögliche Medikamentenpausierung („Drug holiday“). * Bisphosphonate können auch viele Jahre nach dem Absetzen noch am Knochen gebunden sein. ** Denosumab hat eine Serumaktivität von circa sechs Monaten, das heißt, nach sechs Monaten Pause ist kein Wirkstoff mehr im Körper. Quelle: MKG Heidelberg Bisphosphonate oral/intravenös Knochen Hemmung der Osteoklastenfunktion nach Anreicherung am Knochen > 10 Jahre* Zometa®, Fosamax®, Actonel® Denosumab subkutan Serum sofort an den Zellen ca. 1 Monat ** Xgeva®, Prolia® 40 Zahnmedizin
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