Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 108, Nr. 21, 1.11.2018, (2472) behandelt werden. Die Therapie mit Bis- phosphonaten erfolgt entweder wöchent- lich oral oder mit jährlichen Infusionen (Ta- belle 1). Der Antikörper Denosumab wird in Form des Präparats Prolia® halbjährlich subkutan injiziert. Die Prävalenz von Medi- kamenten-assoziierten Kiefernekrosen im niedrigen Risikoprofil wird derzeit in der Literatur mit 0,01 bis 0,5 Prozent diskutiert [Lo, 2010; Hallmer, 2014]. Insbesondere bei Patienten, die über mehrere Jahre eine anti- resorptive Behandlung verabreicht bekom- men, steigt die Gefahr, eine Kiefernekrose zu entwickeln. So setzt sich das mittlere Risiko- profil zum einen aus Patienten zusammen, die orale Bisphosphonate länger als vier Jahre bekommen haben (Risikorate von circa 1,0 Prozent [Lo, 2010; Hallmer, 2014]), oder zu- sätzlich zu ihrer Einnahme weitere Risiko- faktoren (Co-Medikation zum Beispiel mit Rheumamedikamenten, Kortison) aufweisen. Des Weiteren zählen zur mittleren Risiko- gruppe alle Patienten, die zur Vorbeugung skelettbezogener Komplikationen bei Tumor- leiden antiresorptiv behandelt werden (zum Beispiel Brust- und Prostatakrebs ohne Me- tastasierung). Die Therapie mit Bisphospho- naten erfolgt entweder halb- oder viertel- jährlich mit Infusionen (Risikoraten bis zu 10 Prozent werden kritisch diskutiert) [Smith, 2013; Rugani, 2014; Wagner-Johnston, 2015]. Zum hohen Risikoprofil gehören Patienten, die aufgrund von Knochenmetastasen oder einem Multiplen Myelom vierwöchentlich mit Bisphosphonaten (intravenös) oder mit Denosumab (subkutan, Präparat: XGEVA®) antiresorptiv behandelt werden. Die Auf- tretenswahrscheinlichkeit ist durch die häu- figere und höhere Dosierung deutlich höher als bei der niedrigen und mittleren Risiko- gruppe und wird in der Literatur mit Werten von 3 bis 20 Prozent angegeben [Walter, 2010; Saad, 2012; Raje, 2018]. Zur patientenindividuellen Risikobewertung dient ein Algorithmus, der auf der Grund- lage einer guten Anamnese basiert. Grund- erkrankung, Applikationsform, Häufigkeit und Dauer der antiresorptiven Therapie sowie mögliche kompromittierende Begleit- erkrankungen und/oder Medikamente geben direkten Aufschluss über das Risiko, an der Medikamenten-assoziierten Kiefernekrose zu erkranken. Die Zusammensetzung der Risikogruppen nach einem Abhandlungs- algorithmus ist in Tabelle 3 dargestellt. Um das individuelle Risikoprofil von Patienten unter antiresorptiver Therapie einfach zu evaluieren und den interdisziplinären Aus- tausch und die Achtsamkeit der Patienten zu steigern, kann der ASORS-Laufzettel ver- wendet werden (http://www.onkosupport . de/asors) . Eine regelmäßige Aktualisierung der Medikamentenanamnese ist insbeson- dere bei älteren Patienten obligat. Obwohl sich die Kenntnis um die unerwünschte Nebenwirkung in den vergangenen 15 Jah- ren deutlich gewandelt hat, werden noch nicht alle Patienten routinemäßig über die Notwendigkeit einer zahnärztlichen Unter- suchung vor Therapiebeginn aufgeklärt. Aus eigener Erfahrung ist hier vor allem her- vorzuheben, dass Patienten mit niedrigem Risikoprofil oftmals einen größeren Nach- holbedarf haben. Definition und Klassifikation Nach der 2014 überarbeiteten und noch immer gültigen Definition der AAOMS [Ruggiero, 2014] wird eine Medikamenten- assoziierte Kiefernekrose definiert als: - über mehr als acht Wochen exponierter oder sondierbarer nekrotischer Knochen, - bei aktueller oder früherer Einnahme von antiresorptiven Medikamenten - und bei Abwesenheit einer Bestrahlung oder einer offensichtlichen Metastasierung im Kopf-Hals-Bereich. Diese „Amerikanische Definition“ tritt zu- nehmend in den Fokus wissenschaftlicher Diskussionen. Das liegt unter anderem an zwei Dingen: erstens die fehlende Berück- sichtigung einer histologischen Sicherung der Medikamenten-assoziierten Kiefernekrose in der Definition und zweitens die immer mehr in den Vordergrund tretenden frühen nekrotischen Läsionen der Erkrankung, bei denen es noch keinen freiliegenden Knochen gibt, aber Symptome und gegebenenfalls radiologische Zeichen auf eine Medikamen- ten-assoziierte Kiefernekrose hinweisen. Die Abgrenzung früher nekrotischer Läsionen, vor allem zu Differenzialdiagnosen wie peri- apikalen Infektionen und Paradontitiden, bleibt eine Herausforderung und muss in zukünftigen wissenschaftlichen Ansätzen bearbeitet werden [Thumbigere-Math, 2014; Rao, 2017]. Die gleichzeitig mit der Definition ins Leben gerufene AAOMS-Klassifikation der Medika- menten-assoziierten Kiefernekrose wurde anfangs von den meisten Fachgesellschaften übernommen, in den vergangenen Jahren aber zunehmend kontrovers diskutiert [Grötz, 2012; Khan, 2015; Yoneda, 2017]. Stadieneinteilungen sollten die Schwere beziehungsweise das Ausmaß einer Erkran- kung abbilden, daraus abgeleitet evidenz- basierte Therapieempfehlungen geben und Informationen über die Prognose einer Erkrankung ermöglichen. Hinsichtlich der Therapieempfehlungen der AAOMS stellt sich das Problem, dass frühe Stadien keine therapeutische Konsequenz für die Nekrose haben und meist eine symptomatische Be- handlung nach sich ziehen. Der Übergang zwischen dem frühen und dem mittleren Stadium ist hingegen fließend und kann mittels forcierter antibiotischer Therapie und topischer antibakterieller Behandlung beeinflusst werden. Es besteht das Risiko der asymptomatischen Progredienz des nekrotischen Knochens. Erst in den fort- geschrittenen Stadien wird von der AAOMS ein operatives Vorgehen vorgesehen, welches dann meist ausgedehnte Eingriffe erfordert und mit einer schlechteren Prognose ein- hergeht [Ruggiero, 2015; Ristow, 2018]. Ein weiterer wichtiger Diskussionspunkt ist, dass weder die Lokalisation noch die Größe einer Kiefernekrose Berücksichtigung im Staging (und der daraus gefolgerten thera- peutischen Konsequenz) finden und dass diese Einteilung größtenteils auf klinischen sowie inspektorischen Untersuchungen ba- siert. So werden auch radiologische Unter- suchungen nicht zur Stadieneinteilung he- rangezogen. Dies führt zwangsläufig dazu, dass mittels der klinischen Untersuchung die wahre Ausdehnung der Medikamenten- assoziierten Kiefernekrose nicht erfasst wer- den kann und in einem Großteil der Fälle unterschätzt wird [Bedogni, 2014]. Denn das, was man von der Nekrose sieht, näm- lich der schleimhäutige Defekt, ist häufig 44 Zahnmedizin

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