Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 108, Nr. 22, 16.11.2018, (2600) Zunächst muss grundlegend untersucht werden, ob der neue Wirkstoff überhaupt wirkt. Dazu gehört einerseits eine biologisch plausible Vorstellung über den Wirkmecha- nismus, andererseits der Wirknachweis in einem Labormodell (In-vitro-Modell). In-vitro-Versuche haben den Vorteil, dass sie wenig zeit- und kostenintensiv sind und unter gut kontrollierten Bedingungen durchgeführt werden können. Sie können allerdings die komplexen Bedingungen der Mundhöhle nur bedingt simulieren. Daher ist der nächste Schritt eines Wirknachweises die Testung unter Mundbedingungen unter Mitwirkung gesunder Probanden (In-situ- Modell). Dabei werden Proben von Zahn- hartgeweben zumeist in herausnehmbaren Probenhaltern in der Mundhöhle getragen. Im Kariesmodell kann Plaque integriert und die zu testende Substanz intraoral ange- wendet werden, während extraorale Zucker- impulse die Situation bei kariesaktiven Per- sonen simulieren, ohne Probanden zu ge- fährden. Ähnliche Verfahren stehen als Ero- sionsmodell zur Verfügung. In-situ-Studien sind zeit- und kostenaufwendig und erfor- dern eine gute Mitarbeit der Probanden, er- lauben aber eine realitätsnahe Darstellung der Mundbedingungen. Unabhängig davon, ob die Untersuchungen im Labor oder mit gesunden Probanden durchgeführt werden, müssen bestimmte Anforderungen an das Studiendesign ge- stellt werden. Dazu gehören unter anderem eine ausreichende Fallzahl und Versuchsdauer, geeignete Kontrollgruppen, idealerweise eine hinreichende Verblindung, adäquate Anwendungsmodalitäten des zu testenden Produkts und/oder der Reinsubstanz, ge- eignete Zielgrößen und ein entsprechend geeignetes Messverfahren. Von besonderer Bedeutung ist, dass zur Testung karies- und erosionspräventiver Wirkungen immer ein zyklisches De- und Remineralisationsmodell zur Anwendung kommen sollte, in dem sich Säureangriffe und Remineralisationsphasen sowie Anwen- dungen der zu testenden Substanz ab- wechseln. Versuche, in denen nur initial demineralisierte Proben zur Anwendung kommen, können nur Aussagen zum remineralisierenden/reparie- renden Potenzial eines Wirkstoffs machen, nicht jedoch über dessen karies- oder erosions- hemmende Eigenschaften. Ein weiterer elementarer Aspekt ist der Ein- schluss geeigneter Kontrollgruppen. Eine wirk- stofffreie Formulierung (sogenannte Negativ- Kontrolle oder Placebo) lässt Aussagen über die Funktionalität des Modells zu, eine For- mulierung mit einem Wirkstoff mit nach- gewiesener Wirkung (sogenannte Positiv- Kontrolle oder Goldstandard) ermöglicht die Einschätzung der Effektgrößen von Wirkungen aus der neuen Wirksubstanz beziehungsweise des neuen Präparats. Erst wenn aus solchen Versuchen hinreichende Wirknachweise – idealerweise aus mehreren unabhängigen Arbeitsgruppen – vorliegen, kann mit klinischen Studien begonnen wer- den. Es ist aus ethischer Sicht zumindest problematisch, Patienten – möglicherweise sogar Kinder oder Jugendliche – Risiken aus der Anwendung von Wirkstoffen mit unbe- kannter Wirkung auszusetzen. Neue Wirkstoffe müssen eine Verbesserung gegenüber bereits in Anwendung befind- lichen etablierten, einfach anzuwendenden, kostengünstigen und sicheren Wirkstoffen darstellen. Für die Karies- und Erosions- prävention stehen mit den verschiedenen Fluoridverbindungen solche Wirkstoffe zur Verfügung. Das bedeutet, dass ein neuer Wirkstoff die Wirkung von Fluoriden übertreffen muss. Kombinationspräparate (Fluorid + neuer Wirkstoff) müssen bessere Wirkungen zeigen als Fluorid allein. Daher müssen klinische Studien auch dahin- gehend angelegt sein, die verbesserte Wir- kung nachzuweisen. Vielfach werden je- doch sogenannte Non-inferiority- oder Äquivalenzstudien publiziert. Diese Studien sollen die „Nicht-Unterlegenheit“ oder „Gleichwertigkeit“ von neuen gegenüber etablierten Wirkstoffen zeigen. Diese Studien- typen vergleichen Wirkeffekte innerhalb von definierten Toleranzgrenzen, die auch ge- ringere Wirkeffekte des neuen Wirkstoffs einschließen. Das bedeutet, dass auch Wirk- stoffe mit Effekten, die unter denen etablier- ter Wirkstoffe liegen, als gleichwertig oder nicht unterlegen verkauft werden können. Solche Studientypen werden daher von einigen Autoren grundsätzlich als unethisch abgelehnt [Garattini and Bertele, 2007]. Wenn schon keine deutlich verbesserte Wir- kung zu erwarten wäre, sollte der neue Wirkstoff aber in jedem Fall erhebliche andere Vorteile, etwa deutlich weniger Nebenwirkungen, eine deutlich einfachere Anwendung oder einen deutlich geringeren Preis, haben, um derentwegen eine poten- ziell geringere Wirksamkeit in Kauf genom- men werden kann. Nicht zuletzt müssen Publikationen von For- schungsergebnissen bestimmte Qualitäts- kriterien in Bezug auf die Darstellung ihrer Methodik erfüllen. Solche Standards sind Foto: zm--ck 36 Hydroxylapatit in Zahnpasten

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