Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 108, Nr. 22, 16.11.2018, (2650) und der eigentlichen Behandlung, geringe Traumatisierung des Patienten und das ent- spanntere Arbeiten für den Behandler. Diese Argumente können also die Anwendung der Intubationsnarkose nicht begründen, und insofern ist diese im Sinne des Benefi- zienz-Prinzips hier nicht angezeigt. In Belangen der Patientenautonomie wird der sechsjährige A. aus Gründen der fehlen- den Einwilligungsfähigkeit von seiner Mut- ter vertreten. Es ist aufgrund der in der Fall- skizze geschilderten Situation anzunehmen, dass Dr. K. das Prinzip der Patientenautonomie verletzt hat, indem er die von ihm vorge- schlagene Behandlung als alternativlos dar- gestellt hat. Über den tatsächlichen Willen von Frau F. kann nur spekuliert werden, weil sie Frau Dr. M. zunächst lediglich bittet, sich mit Dr. K. auszutauschen. Die Erregung und Nervosität und das Einholen einer Zweit- meinung deuten jedoch darauf hin, dass sie mit der von Dr. K. vorgeschlagenen Behand- lung nicht einverstanden ist und wahr- scheinlich eher einer weniger invasiven Be- handlung in Form einer Füllung unter Lokal- anästhesie den Vorrang geben würde. Die Füllungstherapie ist weniger invasiv und geht mit einer Substanzschonung am Zahn 84 einher. Fundierte vergleichende Aussa- gen zu möglicherweise notwendigen Wie- derholungsmaßnahmen sind, wie oben be- reits erwähnt, zurzeit nicht möglich. Inso- fern ist die Füllungstherapie dem Nichtscha- densgebot folgend vorzuziehen. Eine Intu- bationsnarkose stellt durch die notwendige apparative, personelle und medikamentöse Ausstattung einen sehr hohen therapeuti- schen Aufwand und ein viel höheres Risiko als eine Behandlung in Lokalanästhesie dar. In seiner Argumentation für die Intubations- narkose das Nichtschadensgebot betreffend führt Dr. K. eine kürzere Behandlungsdauer und die geringere Traumatisierung des Jungen an. In der Gegenüberstellung wie- gen aber die Argumente gegen die Intubati- onsnarkose schwerer, so dass eine Lokalan- ästhesie im Sinne des Nichtschadensprinzips zur Anwendung kommen sollte. Auch aus gerechtigkeitsethischen Überle- gungen kommt man bei dieser Fallkonstel- lation zu dem Schluss, dass der Füllungsthe- rapie in Lokalanästhesie der Vorzug zu ge- ben ist, weil sie ressourcenschonender ist. Die von Dr. K. für sich reklamierte „ausge- wogene“ Interessenabwägung, die die Ent- scheidung für die vom ihm vorgeschlage- nen Behandlungsmaßnahmen begründet, kann ethisch nicht als zielführend für die Be- handlungsentscheidung angesehen werden. Vielmehr sollte er sich bei seiner Entschei- dung aus individual-ethischer Sicht an Evi- denz zu Wirksamkeit, Nutzen und Risiken sowie an den Präferenzen des Patienten orientieren und aus gerechtigkeitsethischen Aspekten den Ressourcenverbrauch zur Erreichung des Therapieziels minimieren. \ Dr. Hans-Jürgen Gahlen Kurfürstenwall 5, 45657 Recklinghausen gahlen@ak-ethik.de Porträt: privat Wie ist nun der oben beschriebene Fall zu bewerten? – Sehen wir uns zuerst einmal die vorgeschlagenen Therapieoptionen an. Einen therapiebedürftigen größeren Befund am Zahn 84 haben beide Zahnärzte diag- nostiziert. Die DGZMK hat in mehreren wis- senschaftlichen Stellungnahmen Erhalt und Therapie von Milchzähnen dargestellt. Demnach sollten sie möglichst bis zur natür- lichen Exfoliation erhalten werden. Der Ver- sorgung mit plastischen Füllungsmaterialien wie Kompositen oder Kompomeren wird dabei der Vorzug vor Materialien wie Glasio- nomerzementen oder Amalgam gegeben. Bei größeren Defekten ist die Versorgung mit konfektionierten Stahlkronen empfohlen. Dazu liegen Studien vor, dass dabei sogar auf die Entfernung von Karies verzichtet werden kann. Dementsprechend können diese Kronenversorgungen auch bei „unko- operativen“ Kindern eingesetzt werden, denen nur eine kurze Behandlungsdauer zu- zumuten ist. Es besteht dabei kaum ein Risiko für das Auftreten von Sekundärkaries, eine extrem geringe Verlustrate macht eine weitere Behandlung vor der natürlichen Exfoliation unnötig. Die vom Kinderzahnarzt Dr. K. vorgeschla- gene Überkronung ist grundsätzlich ebenso zur Versorgung geeignet, wie die durch die Familienzahnärztin Dr. M. empfohlene plas- tische Füllung. Allerdings erscheint die Kro- nentherapie unter Hinblick auf das vorgese- hene Material deutlich teurer (Zuzahlung durch die Eltern) und auch ausschließlich in Verbindung mit der ebenfalls vorgeschlage- nen Vollnarkose durchführbar. Die Füllungs- therapie erfordert möglicherweise einen höheren Zeitaufwand als bei einem ver- gleichbaren Fall in der Erwachsenenbe- handlung, ist jedoch günstiger (Übernahme durch die Krankenkasse) und auch ohne Narkose möglich. Die wissenschaftliche Stellungnahme der DGZMK vom November 1994 sieht die Indikation für eine Behand- Kommentar 2 „Der höhere Aufwand sollte dem Spezialisten bekannt sein“ Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf. Kontakt: Prof. Dr. Ralf Vollmuth vollmuth@ak-ethik.de Schildern Sie Ihr Dilemma! A UFRUF 86 Praxis

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