Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 23-24
zm 108, Nr. 23, 1.12.2018, (2772) -24, 1 12.2018, ( 772) Einfluss auf den späteren Zahndurchbruch der spaltnahen Zähne hat. Durch das vertikale Wachstum der Alveolarfortsätze und die An- näherung der Kieferelemente nach der Lip- penspaltplastik wird die funktionelle Beein- trächtigung durch Übertritt von Flüssigkeit oder Nahrung in die Nasenhaupthöhle mi- nimal. Die sekundäre Kieferspaltosteoplastik imWechselgebiss nutzt die durch Wachstum entstandene fixierte Mukosa der Alveolar- fortsätze und führt in der Regel somit ohne vestibuläre Abflachung zu einem funktionell sehr guten Ergebnis. Beim Vorliegen einer Gaumenspalte erfolgt vor dem ersten Eingriff immer eine HNO-ärztliche Untersuchung mit Tympanometrie und Hirnstammaudio- metrie (brainstem evoked response audio- metry, BERA). Bei relevanter Hörstörung wird im Anschluss an die Spaltoperation eine Parazentese durchgeführt und bei großem Paukenerguss oder einem Mukotympanon ein Paukenröhrchen eingelegt. Die Störung der Mittelohrbelüftung ist durch die Nichtvereinigung der velaren Muskula- tur mit unzureichender Öffnung der Tuba auditiva bedingt. Ein gutes Hörvermögen ist jedoch die entscheidende Voraussetzung für eine normale sprachliche Entwicklung und daher von großer Bedeutung. Für die Gaumenspaltplastik wurden ver- schiedene Modifikationen beschrieben, die meist auf den Prinzipien der Brückenlappen- plastik nach Langenbeck/Ernst/Veau/ Axhausen und der Stiellappenplastik nach Veau beruhen. Entscheidend für das funktio- nelle Ergebnis ist die Wiederherstellung der Muskelfunktion eines ausreichend langen weichen Gaumens. Wir führen die intra- velare Veloplastik nach Kriens mikroskopisch assistiert in der Modifikation der radikalen Muskeldissektion nach Sommerlad durch (Abbildung 5). Isolierte Gaumenspalten werden immer einzeitig verschlossen, bei einseitigen Totalspalten erfolgt der Gaumen- verschluss meist in zwei Schritten, so dass in jedem Fall mit etwa drei Jahren die Primär- behandlung abgeschlossen ist. Durch die Veloplastik tritt bei einseitigen Totalspalten eine Verschmälerung der Spalte des harten Gaumens ein. In den ersten Jahren werden die Kinder regelmäßig in der interdisziplinären Sprech- stunde für LKG-Spalten/Kraniofaziale Fehl- bildungen gesehen, dokumentiert und auch die Sprachentwicklung wird durch regel- mäßige logopädische Untersuchungen und Therapieverordnungen überwacht. Robin-Sequenz Bei der Robin-Sequenz können aufgrund der damit assoziierten Obstruktion im pharyn- gealen Atemweg mit lebensbedrohlicher Atemnot beziehungsweise angestrengter Atmung thorakale Einziehungen entstehen. Bei ausbleibender therapeutischer Interven- tion droht Atemwegsobstruktion mit poten- ziell letalem Ausgang. Hier muss unmittelbar der Atemweg gesichert werden, wozu die wenig invasive Behandlungsmöglichkeit der Tübinger Spornplatte zur Verfügung steht. Diese besteht aus einer Gaumenplatte mit extraoralen Fixierungen sowie einer velo- pharyngealen Extension, die eine Glossop- tose verhindert und im Sinne eines funk- tionskieferorthopädischen Wachstumsreizes die mandibuläre Entwicklung nach ventral fördert (Abbildung 6). Diese Methode – von Bacher, Arandt und Buchenau entwickelt so- wie etabliert – sichert effektiv den Atemweg, verhindert obstruktive Apnoen und fördert das Unterkieferwachstum. Sie erfordert eine enge Kooperation von Kieferorthopädie/ Neonatologie/Endoskopie (zum präzisen Anpassen des Sporns), Kinder-Schlafmedizin (Durchführung von Polygrafien zur Therapie- kontrolle) und Kinderkrankenpflege/Logo- pädie (zum Saug- und Schlucktraining), was in der Praxis an nur wenigen universitären Zentren vorgehalten werden kann [von Bodman et al., 2003; Buchenau et al., 2007; Bacher et al., 2011; Poets et al., 2011; Poets et al., 2017]. Entscheidende Zielparameter bei der Überprüfung der Effektivität dieser Therapie sind der gemischt-obstruktive Apnoe-Hypopnoe- und Desaturations-Index und der Z-Score für die Gewichtsentwicklung im Verlauf. Die in der Literatur beschriebenen invasiven Therapieoptionen bei RS im Säuglingsalter umfassen Glossopexie, Unterkieferdraht- extension, Einlage eines Nasopharyngeal- tubus, mandibuläre Distraktionsosteogenese oder die Tracheotomie. An einigen Zentren wird auch eine dauerhafte Therapie mit kontinuierlichem positivemAtemwegsdruck (CPAP) eingesetzt. Alle diese Therapiever- fahren führen zu einer hohen Belastung für Patienten und Angehörige und behindern die skelettale, die funktionelle und die psychosoziale Entwicklung [Spring, Mount, 2006; Li et al., 2000]. Insuffizient behandelt führt die RS zu einer körperlichen und kognitiven Entwicklungs- störung. Dies zeigt, wie wichtig ein recht- zeitiger, frühzeitiger, den Atemweg sichern- der Behandlungsbeginn ist [Drescher et al., 2007]. Aufgrund der Atemproblematik hat sich bei RS als OP-Zeitpunkt für die Gaumenspaltplastik ein Alter von circa elf Monaten bewährt. Den detaillierten Ablauf der therapeutischen Interventionen bei Robin-Sequenz im Zen- trum für LKG-Spalten/Kraniofaziale Fehlbil- dungen des Universitätsklinikums Tübingen zeigt Tabelle 2. Die Mitarbeit der Eltern ist bei der Therapie von Kindern mit einer Spaltbildung wie Abbildung 5: Totale Gaumenspalte präoperativ und mit 8 Jahren Fotos: ZLKGKF 56 Fortbildung Kieferorthopädie
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