Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 109, Nr. 01-02, 16.1.2019, (20) kanalbehandlung sowie obendrauf noch zwei Extraktionen – es wird derselbe Betrag gezahlt. Ebenso im prothetischen Bereich: Es spielt keine Rolle, ob der Patient eine Unterkieferteilprothese bekommt oder eine Oberkiefertotalprothese und zwei Kronen im Unterkiefer mit einer Teilprothese – auch hier gibt es jeweils dasselbe Geld. Laborkos- ten, wie hoch auch immer sie sein mögen, sind ebenfalls abgegolten. Jeder dieser vier Behandlungsgruppen entspricht ein „Punktwert“, sogenannte Units of Dental Activity (UDA). Vom NHS bekommt eine jede Zahnarztpraxis ein bestimmtes Kontin- gent an UDAs pro Jahr. Erbringt man mehr Leistungen, dann werden diese nicht be- zahlt, liegen die erbrachten Leistungen darunter, müssen die Praxisinhaber nicht nur Geld zurückzahlen, sondern gleichzeitig auch eine Strafzahlung. Wer clever ist, kauft NHS-Praxisketten Eröffnete ein Zahnarzt seine Praxis in einem bisher unterversorgten Gebiet, dann musste der Bohrer glühen wie der Hochofen bei Krupp in Essen, um die Illusion einer wirt- schaftlichen Praxisführung zu erzeugen. Al- lerdings, entgegen den Aussagen deutscher Politiker, ist nichts wirklich alternativlos. Wer clever ist, weiß, wie es geht. Man gründet eine Limited, nimmt Geld aus der reich ge- füllten Portokasse, nachdem man zuvor „Short“ in Derivate gegangen ist und kauft bestehende Praxen mit NHS-Verträgen. In diese Praxen setzt man ein paar zusätzliche Behandlungsstühle und junge Zahnärzte aus europäischen Ländern, denn ausreichend englische Zahnmediziner stehen nicht zur Ver- fügung. Verträge innerhalb der EU machen es möglich, problemlos das griechische, portugiesische, spanische oder rumänische Examen in Großbritannien anerkennen zu lassen, sich beim General Dental Council (GDC) als Zahnarzt zu registrieren und eine Zulassung beim NHS zu beantragen. Das ist besonders attraktiv, da es in diesen und an- deren europäischen Ländern nicht wirklich eine Zukunft für junge Zahnmediziner gibt. Diesen jungen Zahnärzten, froh darüber, endlich einen bezahlten Job zu haben und gegebenenfalls auch noch die Familie im Heimatland unterstützen zu können, gibt man einen Vertrag als Associate, was man als Partner, aber auch als Mitarbeiter über- setzen kann. In Deutschland wurden der- artige Verträge einmal mit dem Label „Scheinselbständigkeit“ versehen. Bevor es mit dem Bohren englischer unterversorgter Gebisse losgehen konnte, gibt es für die jungen Zahnmediziner eine mehrtägige Ein- führungsveranstaltung durch die jeweilige Praxiskette. Darin werden neben Grund- lagen der NHS-Abrechnung und rechtlichen Bestimmungen auch wichtige Themen wie Gewalt in der Familie und das Erkennen von verdeckter Sklaverei, aber auch das wasser- dicht-unangreifbar-gerichtsfeste Abfassen von Behandlungsnotizen behandelt. Zudem geht mehrmals täglich eine Liste im Saal he- rum, auf der die Teilnehmer unterschreiben, dass sie über das jeweilige Thema aus- reichend, umfassend und verständlich auf- geklärt wurden. Schließlich muss man sich als Praxiskette ja auch absichern und rechts- sicher beweisen können, alles als Unter- nehmen getan zu haben, wenn der selbst- ständige Mitarbeiter aus dem Ruder läuft. Therapiefreiheit? Ja klar – auf dem Papier! Ich hatte das Glück, einen Tag an solch einer Veranstaltung teilnehmen zu können und mich mit jungen Kollegen zu unterhalten. Diese hatten in Spanien an der Informations- veranstaltung einer englischen Zahnarztkette teilgenommen, direkt im Anschluss daran einen Vertrag unterschrieben, ihre Koffer gepackt und sich ein paar Tage später auf die Reise ins Königreich gemacht, ohne zu wissen, in welcher Stadt genau sie von der Zahnarztkette eingesetzt werden sollten. Irgendwann später, nachdem sie sich in einer Praxis innerhalb eines bisher unter- versorgten Gebiets wiederfanden, haben sie langsam begriffen, wie heiß sie den Bohrer glühen lassen müssen, um ein halbwegs vernünftiges Gehalt zu bekommen. Gern werben die Ketten auch mit internen Akade- mien und Fortbildungen. Aber manchmal ist es wie mit den tollen Angeboten auf einer Kaffeefahrt. Nicht alles an Lama-Gold war auch Gold. Die hausinternen Fortbildungen sind meist Veranstaltungen, in denen es den Unternehmen darum geht, sich nach außen abzusichern und Verantwortlichkeiten auf zahnärztliche Mitarbeiter zu übertragen. Wer an dieser Stelle noch altem Gedankengut Ein alltägliches Bild im Vereinigten Königreich: Präzisionszahntechnik! Foto: privat 22 Dentalketten in Europa
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