Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 109, Nr. 01-02, 16.1.2019, (23) ja weniger als Zahnärzte, wenn sie in den Praxen arbeiten. Eine eigene Praxis zu er- öffnen ist für Zahnärzte ebenfalls schwierig geworden, denn es gibt kaum noch neue Verträge mit demNHS, das heißt, man muss zu überhöhten Preisen eine bestehende Praxis kaufen und steht dazu noch in Konkurrenz mit weiterhin expandierenden Praxisketten, selbst bei weniger attraktiven Standorten. Gleichzeitig macht es das System immer schwieriger, eine eigene, unabhängige Pra- xis zu betreiben. Da sind zum einen Inspek- tionen durch die Quality Care Commission (CQC), zum anderen Forderungen des NHS nach einer volldigitalisierten Praxis bis 2020, genauso wie die neuen, europaweit gelten- den Bestimmungen zum Datenschutz. Für Einzelpraxen entstehen dadurch organisato- rische und finanzielle Herausforderungen, die von größeren Organisationsformen we- sentlich einfacher abzufangen und zu tra- gen sind. Hinzu kommt, dass verschiedene Praxisketten eigene Dentallabore betreiben, was zu einer weiteren Konzentration des Umsatzes in wenigen Händen beiträgt. Der Platz reicht nicht aus, um hier weiter in die Tiefe zu gehen und langfristige Entwick- lungen darzustellen, jedoch dürften diese wenigen Beispiele ausreichend sein, um zu zeigen, dass es bei Praxisketten nicht um die Verbesserung der Versorgungsqualität von Patienten geht. Der Politik ist an solch einer Entwicklung durchaus gelegen, befriedigt sie doch einerseits die Interessen von Private- Equity-Firmen und macht es gleichzeitig aber auch den eigenen Behörden leichter, mit den Anbietern von zahnärztlichen Leis- tungen zu verhandeln. In Großbritannien sind etwa 15 Prozent der zahnärztlichen Praxen in Ketten organisiert, wobei diese offizielle Zahl nicht die Praxis- ketten erfasst, deren Eigentümer im Hinter- grund bleiben und auf einen einheitlichen „Brand-Name“ ihrer einzelnen Praxen ver- zichten. Der derzeitige Einstieg von Investoren in die zahnärztliche Landschaft in Deutschland wird auch diese in zehn Jahren vollständig verändert haben. Mit welchem Druck dabei vorgegangen wird, wird in einem Artikel auf Spiegel Online deutlich, der über den Markt- einstieg der Colosseum-Gruppe berichtet [www.spiegel.de ]. Dieser (Marketing-)Artikel war länger als manch anderer Beitrag auf der Homepage zu finden, verschwand für kurze Zeit, um dann erneut aufzutauchen. Dieser Gruppe, einem Ableger der Jacobs- Stiftung („Jacobs Krönung“), gehören in Großbritannien etwa 120 Praxen. Hat die deutsche Politik ein signifikantes Interesse an diesen tiefgreifenden Verände- rungen? Man könnte auch fragen: Ist der Papst katholisch? Wäre es nicht im Sinne der politischen Agenda, würde die Politik handeln, so wie sie es beispielsweise beim Fahrdienst „Uber“ getan hat. Und eine der- zeitige Reformierung der Zulassung zum Medizin- und Zahnmedizinstudium wird nicht jeder in Verbindung mit der Konzen- tration von Zahnarztpraxen bringen, unter- stützt diese fatale Entwicklung jedoch lang- fristig. Dazu kommen dramatische Fort- schritte im digitalen Bereich, die in den Zahnarztpraxen und Laboren fundamentale und bisher kaum vorstellbare Veränderungen in den nächsten fünf bis zehn Jahren nach sich ziehen werden. Investitionen in diese auf den Markt drängenden digitalen Techni- ken werden genauso wie die zunehmenden bürokratischen Hürden von Einzel- oder kleinen Gemeinschaftspraxen nicht mehr zu bewältigen sein. Und wer glaubt, dass Banken ein Interesse daran haben, Zahn- arztpraxen in der Nähe von bestehenden Versorgungszentren zu finanzieren, der denkt auch, dass die Erde eine Scheibe ist. Allerdings, das liegt in der Natur der Sache, ergibt sich durch diesen Konzentrations- prozess auch eine brillante Chance für Zahnärzte, die keine Lust auf das Hamster- rad haben und ihren Beruf als Herausforde- rung zur bestmöglichen Versorgung ihrer Patienten ausüben. Denn Versorgungszen- tren wird es mittel- und langfristig unmög- lich sein, eine patientenzentrierte und hoch- qualifizierte, qualitativ erstklassige Zahnheil- kunde zu bieten. Wer jedoch seine exzellen- ten zahnärztlichen Fähigkeiten ausbaut, eine absolut patientenzentrierte Praxiskultur schafft, ja, das ist in der Tat Arbeit, der hat alle Möglichkeiten in der Hand, jenseits von Versorgungszentren eine Patientenklientel zu behandeln, der diese gesundheitspolitischen Entwicklungen ebenso wenig gefällt und die Wert auf persönliche Betreuung und hoch- wertige Zahnmedizin legt. Viele, die heute hauptsächlich über eine Work-Life-Balance schwadronieren, werden in wenigen Jahren im Hamsterrad auf- wachen und sich darüber wundern, wie wenig ihre noch vorhandenen ethischen Gedanken mit dem zu tun haben, was sie aufgefordert werden, umzusetzen, um für die Rendite zu sorgen, die man als Investor von seinem zahnärztlichen Versorgungs- zentrum erwartet. Literaturhinweis: http://www.spiegel.de/gesundheit/ diagnose/deutschland-grossinvestoren- kaufen-zahnarztpraxen-a-1209882.html Stuhl kaputt? Geweband aus dem Baumarkt spart den Techniker! Foto: privat Sven Thiele ist Zahnarzt, Autor und Dozent am Londoner King‘s College. Regelmäßig schreibt er über die Zahnheilkunde im Verei- nigten Königreich, u.a. in dem Blog www. foreigndentist.wordpress.com (deutsch). Foto: privat 25

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