Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 109, Nr. 1, 16.1.2019, (25) Erläuterung des Behandlungsplans sowie für die Unterzeichnung der Einverständniserklä- rung und der Finanzvereinbarung steht ein Zeitfenster von insgesamt 45 Minuten zur Verfügung. Bezahlt werden muss im Voraus. Eine mit Dentexia verbandelte Finanzfirma (Franfinance) vergibt die Kredite. Leitfäden geben den Ablauf strikt vor: Implantat ver- kaufen, Rechnung stellen, Bargeld einziehen beziehungsweise Kredit vergeben und – falls Material, Zeit und Geld vorhanden – die Behandlung ausführen. Verkäufer setzten Implantate Es dauert nicht lange, bis das System kollabiert: Die Preise sind viel zu niedrig kalkuliert, so dass Rechnungen nicht bezahlt werden. Lieferanten behalten daraufhin die Ware ein. Die Folge: Es fehlt überall an Material. Behandlungen können kaum noch durchgeführt werden. Trotzdem werden immer mehr Patienten akquiriert, immer mehr Verträge abgeschlossen. Verkäufer er- halten, vermutet Pagès, einen Bonus. Viele Zahnärzte kündigen in dieser Situation. Zurück bleiben: die Unfähigen, die Ver- zweifelten und die Skrupellosen. Immer mehr Fachfremde werden eingesetzt: zur Rekrutierung, für die Verträge, aber auch zur Überprü- fung der Hygiene- vorschriften – und für die Behandlung. Da die franzö- sischen Zahntech- niker nicht bezahlt wurden, wird ein Labor in Vietnam beauftragt: mit mi- serablen Leistun- gen. 24 der 25 Implantologen be- schweren sich, dass die Abutments nicht halten. Pagès wird Zeuge, wie ein Angestell- ter, der zuständig für die Kundenakquise war– kein Zahnarzt! –, auf Steichens Anwei- sung in Lyon Implantate setzt. Der Verkäufer hatte offenbar einem Implantologen beim Implantieren kurz über die Schulter ge- schaut, dann zog er sich den Chirurgenkittel an und implantierte selber. Fünf Minuten sind für einen Sinuslift vorge- sehen, 45 für die Herstellung einer Prothese. Berufsvorschriften und Leitlinien werden ignoriert: Selbst bei Kontraindikationen – Rauchen – wird implantiert. ” Einige Prothetiker schickten mir Fotos von unbrauchbaren Präpa- rationen und Abdrücken aus dem Labor mit der Frage: „Was mache ich damit?“ Die Antwort lautete immer: „Nichts, du nimmst den Abdruck.“ Dr. Jean-Claude Pagès in seinem Tagebuch „Steichen m‘a tuer“ Die geltenden Hygieneverordnungen wer- den unterlaufen: Geräte werden nicht ord- nungsgemäß gereinigt, Sterilisatoren un- sachgemäß weil von Laien betrieben, und für Ultraschallwannen gibt es kein Budget. Immer Praxen beschweren sich über schmutzige Instrumente. „Die geleistete Arbeit entspricht absolut nicht den Mindest- standards“, resümiert Pagès. Im Frühjahr 2016 fliegt Steichen schließlich endgültig auf. Die Bilanz: Neun von zehn Patienten, fast 3.000, die bei Dentexia be- handelt worden waren, blieben mit unvoll- endeten Therapien oder den Folgen von Behandlungsfehlern zurück. Zum Teil wurde die Versorgung über Nacht abgebrochen. Auf den extra aufgenommenen Krediten bleiben sie sitzen. „Sie sind in der Falle, weil „Zu Hause bin ich den ganzen Tag zahnlos“, erzählt die 60-jährige Christine Teihol. Die Französin zahlte Dentexia 12.000 Euro für Implantate und Kronen, um ihre durch Zahnfleischerkrankungen verlorenen Zähne zu ersetzen. Nachdem das Zentrum in diesem Frühjahr pleite ging, bleibt sie zurück – nur mit den Schrauben, die aus ihrem Zahnfleisch ragen – schwarze Stümpfe für die weißen Keramikkronen, die sie nie bekam. „Glauben Sie mir: Auch nach vielen Jahren Ehe ist das sehr hart für ihr Privat- leben.“ \ aus: Politico vom 26. Juli 2016 „Zu Hause bin ich den ganzen Tag zahnlos“ Christine Teihol Aus meiner Sicht handelt es sich bei Dentexia um die Kommerzialisierung der Zahnmedizin. Nur das frische Geld, das von neuen Patienten vor Behandlungs- beginn eingebracht wird [...], kann die Versorgung früherer Patienten finanzie- ren. Grundsätzlich ist die Dentexia-Affäre für mich die gescheiterte Geschichte einer Analogie zu den „Billigfliegern“ der Zivilluftfahrt. Der Kunde, der sein Ticket bei einem Billigunternehmen kauft, [...] wird sich mit Handgepäck und einem Glas Wasser statt mit einem großen Koffer und einem Erfrischungsgetränk zufrieden- geben, aber er weiß, dass das Flugzeug normalerweise nicht abstürzt. Bei Dente- xia aber war dieses Risiko einkalkuliert. Mehr noch: Der Absturz konnte nicht ver- mieden werden. \ Abdel Aouacheria, Sprecher des Collectif contre Dentexia, im Dezember 2018, gekürztes Statement „Der Absturz konnte nicht vermieden werden!“ Abdel Aouacheria 27
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