Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 109, Nr. 01-02, 16.1.2019, (47) In diesem Kontext wurde im Rahmen der pädiatrischen Früherkennungsuntersuchung eine kraniofaziale Befunderhebung bei der U8 integriert. Hierbei wird eine Befunderhe- bung der Zahn- und Kieferstellung durch den Pädiater erhoben und bei Bedarf eine Vorstellung beim Kieferorthopäden initiiert. nach Wachstumsabschluss Obwohl bei Erwachsenen das kraniofaziale Wachstum größtenteils abgeschlossen ist, unterliegt es dennoch morphologischen Änderungen, dem „aging“ (Abbildung 6). Die jahrzehntelange Persistenz von Dysfunk- tionen manifestiert sich bei Erwachsenen in deutlichen Veränderungen dentaler und skelettaler Natur. Anders als bei Kindern bleibt der „Selbstheilungseffekt“ nach Har- monisierung der Dysfunktion aus. Skelettale Adaptationen der Dysfunktion bleiben somit trotz Harmonisierung bestehen. Vereinzelt zeigen sich nach einer funktionellen Harmo- nisierung dentale Reaktionen, diese treten jedoch im Vergleich zu Kindern häufig erst viel später und deutlich langsamer ein. Trotz aller Einschränkungen ist eine funktio- nelle Harmonisierung auch bei erwachsenen Patienten unumgänglich, um unnötiges Jiggling und mit der Dysfunktion verbun- dene Nebenwirkungen sowie Rezidive zu vermeiden. Therapeutische Harmonisierung Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit ist häufig die Voraussetzung und sollte vor, begleitend und/oder nach einer kieferortho- pädischen Intervention erfolgen. Letzteres insbesondere dann, wenn durch die kiefer- orthopädische Behandlung eine deutliche Verbesserung der Anatomie gegeben ist. Neben dem Kieferorthopäden ist ein aufein- ander abgestimmtes Team von Logopäden oder Sprachheiltherapeuten, Hals-Nasen- Ohren-Ärzten, Schlafmedizinern, Orthopäden, Krankengymnasten und Physiotherapeuten gefragt. Eine kontinuierliche Kommunikation über den Verlauf und gegebenenfalls die Therapieumstellung ist sinnvoll und wird über einen interdisziplinären Bogen zeit- sparend ermöglicht [Korbmacher und Kahl- Nieke, 2001]. Aber der Patient muss viel Zeit und Disziplin einsetzen. Tägliches Üben ist Voraussetzung einer erfolgreichen Integration einer harmonisierten Funktion [Korbmacher, 2017]. Fazit Die kraniofaziale Entwicklung steht in Wechselwirkung zur kraniofazialen Funktion. Dysfunktionen besitzen einen formgeben- den Einfluss. Die genauen Mechanismen der Wechselwirkung sind leider noch nicht bekannt. Eine interdisziplinäre Zusammen- arbeit ist Voraussetzung für eine erfolgreiche Behandlung. Jede therapeutisch hervor- gerufene Veränderung der Zahn- und/oder der Kieferposition hat Folgen für jede einzelne Funktionsloge. Die präventionsorientierte Kieferorthopädie strebt eine frühe Harmoni- sierung kraniofazialer Dysfunktionen sowie die Detektion möglicher dysfunktioneller Interaktionen im Funktionslogensystem an. Univ.-Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie Medizinisches Zentrum für Zahn-, Mund- und Kiefererkrankungen der Philipps Universität Marburg Georg-Voigt-Str. 3, 35033 Marburg korbmacher@med.uni-marburg.de Prof. Dr. Heike Korbmacher-Steiner · 1996 Studium der Zahnmedizin, RWTH Aachen · 1997 Promotion zur Dr. med. dent, RWTH Aachen · 1997–2009 Poliklinik für Kieferorthopädie, Universität Hamburg · 2005/2006 Habilitation und Venia legendi, Universitäts- krankenhaus Hamburg-Eppendorf · 2010 Direktorin der Poliklinik für Kieferorthopädie, Philipps Universität Marburg · seit 2012 Stellvertretende Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Philipps Universität Marburg · seit 2016 Geschäftsführende Direktorin des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde, Philipps Univer- sität Marburg Porträt: privat Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie 2 CME-Punkte der BZÄK/ DGZMK. Kieferorthopädie und Funktion CME AUF ZM - ONLINE Abbildungen 6: Aging bei einem erwachsenen Patienten: a) Der Patient ist 22 Jahre alt, klinische Situation bei der einmaligen Beratung. b) Vier Jahre später erneute Vorstellung: Es zeigt sich eine deutliche Verschlechterung der Anomalie der Klasse II.1 mit Vergrößerung des Overjets und Overbites, Etablierung eines tertiären Engstands und Verstärkung der Klasse-II-Verzahnung. a b 49

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