Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 109, Nr. 01-02, 16.1.2019, (69) sitzenden Retainern angefertigt werden, um gewährleisten zu können, dass bis zu einem Reparaturtermin keine unerwünschten Zahnstellungsänderungen auftreten. Übergeordnete Aspekte Abhängig von der patientenseitigen Aus- gangssituation können umfangreiche alle zahnmedizinischen Bereiche involvierende Behandlungsmaßnahmen eine erhebliche zeitliche und finanzielle Belastung darstellen. Um für die Patienten eine partizipatorische Entscheidungsfindung zu ermöglichen, gilt es frühzeitig, prognosenbasierte Behand- lungsalternativen zu definieren und darüber umfangreich aufzuklären. Für eine Miss- verständnis-freie parodontologisch-kiefer- orthopädisch interdisziplinäre Kommunika- tion sind Visualisierungen der gewünschten und geplanten Zahnbewegungen empfehlens- wert (Abbildung 10). Die zeitliche Abfolge der interdisziplinären Behandlungen und notwendige parallele Behandlungsmaßnah- men sollten zur Optimierung der Synergien stringent koordiniert werden. Fallpräsentation Der seinerzeit 44-jährige Patient stellte sich im Zentrum für Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde des Universitätsklinikums Bonn vor. Sein Wunsch war, die Frontzahnästhetik möglichst schnell wiederherzustellen und alle Zähne zu erhalten. Die anamnestischen Hauptbeschwerden waren die zunehmende Lockerung, Lückenbildung und Auffächerung der oberen, mittleren Frontzähne (Abbil- dungen 6 und 7). Der Patient war zum da- maligen Zeitpunkt Raucher, die Allgemein- anamnese ergab, dass bei den Eltern einige Zähne durch Lockerung verloren gegangen waren. Seine Mundhygiene war als gut zu bezeichnen. Kurzer PAR-Befund Die in Abbildung 8 reduziert dargestellte parodontale Befunderhebung ergab einen Lockerungsgrad III an Zahn 11 bei röntge- nologischem Hinweis auf eine Paroendo- läsion und einen Lockerungsgrad II an 21. Die Sondierungs- und Blutungsbefunde (BOP) sind ebenfalls der Abbildung zu ent- nehmen. Nach aktueller Klassifikation ergab sich eine Parodontitis im Stadium IV, Grad C [Jepsen, 2018c; Papapanou et al., 2018]. Die Zähne 11 und 21 wurden nach den Kriterien von Mc Guire und Nunn als „hoffnungslos“ bewertet [McGuire & Nunn, 1999]. Verkürzter KFO-Befund \ OK: Lückige Protrusion der Front bei tendenziell hypoplastischen Zähnen 12, 22; Distalkippung und Mesiorotation 11, Disto- rotation 22; geringgradige Dreh- und Kipp- stände der Seitenzähne; Supraposition der Front; geringgradige Frontmittenabweichung nach rechts \ UK: Protrusion und geringgradiger Eng- stand; geringgradige Dreh- und Kippstände im Seitenzahnbereich \ Bisslage: Neutralokklusion an M1 und C beidseits bei skelettal sagittal und vertikal neutraler Kieferrelation (Abbildung 9). Interdisziplinärer Plan 1. Endodontische Behandlung 11 und anti- infektiöse Parodontitistherapie, 2. parodontal resektive Maßnahmen und Reevaluation, 3. regenerative PAR-Chirurgie 12, 11, 21, 22 unter Stabilisierung mittels passiver Multibracket-Apparatur (Abbildung 12), 4. Beginn der aktiven orthodontischen Zahn- bewegung vier Wochen postoperativ mit begleitender unterstützender Parodontitis- therapie (Abbildung 13), 5. Stabilisierung mittels festsitzendem Re- tainer plus zusätzlichen Tiefziehschienen und weitere unterstützende Parodontitistherapie. Kieferorthopädischer Plan \ OK: Angulations- und Rotationskorrektur der Front; Korrektur der Frontmitten- abweichung; Intrusion und geringe Retru- sion der Front; Lückenschluss; Belassen der Seitenzahnpositionen \ UK: Auflösung des Platzmangels in der Front mittels approximaler Schmelzreduktion; Belassen der Rotationen im Seitenzahn- bereich; Aufhebung des Engstands und geringe Retrusion der Front \ Bisslage: Belassen der Bisslage; Reduktion des Overbites Die kieferorthopädischen Ziele wurden mit- tels eines Set-ups sowie einer FRS-Simulation visualisiert und es wurde ein zur Erreichung der gewünschten Zahnbewegungen geeig- netes Kräftesystem geplant (Abbildungen 10 und 11). Mechanotherapeutischer Plan \ OK: Passive MB-Apparatur (Abbildung 12); Verankerung 17–12 plus 22–27 via MB- Apparatur; an Kreuzzröhrchen fixierter Umgehungsbogen mit Rücksicht auf die PA-Situation von distal 13 nach distal 23; Kraftsystem zur Angulationskorrektur, De- rotation und Mittellinienkorrektur 11, 22 via am Stahlumgehungsbogen befestigten TMA-Rechteckschlaufen (Abbildung 13); anschließend Kraftsystem zur Intrusion und Retrusion 11, 21 sowie Restlückenschluss mittels Zweivektormechanik durch eine ver- tikal eingesetzte 25-cN-Nitifeder plus einen in horizontaler und sagittaler Richtung circa 30 cN freisetzenden elastischen Faden, wo- raus sich für 11 und 21 eine circa 1 mm pa- latinal des Widerstandzentrums befindliche resultierende Kraft von rund 40 cN und ein negatives Drehmoment von etwa 40 cNmm ergeben (Abbildung 11 und 14) \ UK: Geringgradige ASR; reziproker Lücken- schluss im Seitenzahnbereich an MB-Appa- ratur und Nutzung des Platzgewinns zur Auflösung des Engstands sowie zur bogen- geführten minimalen Retrusion der Front an einem Häkchen tragenden Stahlbogen. Verlauf Nach der initialen Parodontitistherapie konnten die parodontalen Zielparameter deutlich verbessert werden. Unglücklicher- weise blieb die Zigarettenabstinenz unvoll- ständig, der Konsum war aber auf weniger als zehn Zigaretten/Tag reduziert. Dennoch wurde in Absprache mit dem Patienten entschieden, eine parodontal-chirurgisch regenerative Therapie durchzuführen. Intra- 71
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