Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03
zm 109, Nr. 3, 1.2.2019, (165) Auf Basis der verfügbaren Daten allerdings sei „kein Rückschluss auf die genauen durch- schnittlichen Kosten pro Fall und somit auch keine Beurteilung möglich, ob die derzeitige kieferorthopädische Versorgung den gesetz- lichen Ansprüchen an eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versor- gung gerecht wird“. Sinnvoll erachtet das IGES hier weitere umfassendere Analysen der Abrechnungsdaten, um das Kosten- Nutzen-Verhältnis der Behandlungen be- werten zu können. Weiterhin müssten auch die Eigenbeteiligungen der Versicherten bei KFO-Behandlungen näher untersucht wer- den, denn bislang seien die Notwendigkeit und die Art dieser Zusatzleistungen und deren Umfang „nicht hinreichend wissen- schaftlich untersucht“, so das Gutachten. Forschungsbedarf Doch auch in anderen Bereichen sehen die Autoren weiteren Forschungsbedarf. Weil die meisten der untersuchten Studien da- rauf hinwiesen, dass Anzahl und Art der zu ergreifenden diagnostischen Methoden von der Art und dem Ausmaß der Malokklusion abhängig seien, sei es sinnvoll „zukünftig zu untersuchen, bei welchen Subpopulationen welche kieferorthopädischen diagnostischen Untersuchungen notwendig sind, um eine ausreichende und zweckmäßige Behand- lungsplanung durchführen zu können und unnötige Maßnahmen zu verhindern“. Die Autoren geben zu bedenken, dass sich der diagnostische Nutzen von KFO-Behandlun- gen meist erst nach einer geraumen Zeit zeigt. Daher müssten zukünftig „lang ange- legte, qualitativ hochwertige Studien“ durch- geführt werden, um zu erforschen, „wie eine evidenzbasierte Ableitung von diagnosti- schen Maßnahmen in der Kieferorthopädie angelegt sein kann“. Um die wissenschaftliche Studienlage zu verbessern, ist laut IGES „als Goldstandard grundsätzlich die Durchführung einer kli- nischen Studie in Form einer randomisierten kontrollierten Studie (RCT) mit einem langen Nachbeobachtungszeitraum notwendig“. Hierzu müsste man der Kontrollgruppe eine kieferorthopädische Versorgung vorenthal- ten. Da Parodontalerkrankungen und Zahn- verluste gegebenenfalls erst nach Jahren oder Jahrzehnten auftreten, wäre ein langer Beobachtungszeitraum vonnöten. IGES: „Unter diesen Gesichtspunkten erscheint die Durchführung solcher Studien daher nicht realistisch.“ Daher rät das Institut zu kontrollierten, nicht randomisierten klinischen Studien ohne Ver- gleichspopulation, die die diagnostischen Maßnahmen, die darauf basierende Be- handlungsplanung sowie die patienten- relevanten Endpunkte nach der Therapie er- fassen. Jedoch bliebe auch hier das Problem der langen Beobachtungszeit. Dies jedoch sei unumgänglich, wenn harte klinische Endpunkte erfasst werden sollen. Auch eine retrospektive tiefergehendere Analyse der Abrechnungsdaten der deutschen Kranken- kassen sei denkbar. Zudem wäre unter anderem die Erweiterung der Deutschen Mundgesundheitsstudie um detailliertere Angaben von KFO-Behandlungen von Kin- dern, Jugendlichen und Erwachsenen eine weitere Option für das IGES. Grundsätzlich existierten bei den KFO- Behandlungen „wenige nationale und inter- nationale Leitlinien“, auch dies müsse sich ändern. So konnten in Bezug auf die thera- peutischen kieferorthopädischen Maßnah- men keine Leitlinien identifiziert werden, die das Management der verschiedenen Mal- okklusionen thematisieren würden. Um dies zu beheben, sollten „die Standards der Ar- beitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) als Grundlage dienen“. sg Es war der Bundesrechnungshof, der die Meta-Untersuchung anregte. Das Kon- trollgremium hatte im April 2018 in sei- nem Jahresbericht 2017 die aus seiner Sicht zu hohen Kosten für kieferortho- pädische Behandlungen moniert. Dabei hielten die Prüfer dem Bundesgesund- heitsministerium (BMG) vor, weder das BMG noch die Krankenkassen hätten „vertiefte Kenntnisse über die kiefer- orthopädische Versorgungslage und -not- wendigkeit“. Damit seien Ziel und Erfolg von GKV-Ausgaben in Höhe von mehr als einer Milliarde Euro pro Jahr „nicht bekannt“. Zur Erklärung: Insgesamt 1,103 Milliarden Euro betrugen die GKV-Ausgaben für kie- ferorthopädische Behandlungen im Jahr 2016, das war der höchste Wert seit 2003. Dieser „Missstand“, höhere Ausgaben bei (in den Augen der Prüfer) unzureichender Evidenz der Behandlungen, bestehe „seit Jahren“. Das BMG solle „Evaluierungen anstoßen“ und auf der „Zusammenführung vorhandener und neu erhobener Daten“ bestehen. Das BMG dürfe nicht länger untätig bleiben und auf die Akteure der Selbstverwaltung hoffen. In der Folge ver- gab das BMG den Auftrag für das Gut- achten an das IGES Institut in Berlin. \ Die Genese des Gutachtens Gesamtausgaben der GKV für kieferorthopädische Leistungen, 2004-2017 GKV-Ausgaben (Mio Euro) 0 200 400 600 800 1000 1200 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2017 979 827 828 829 858 886 921 954 978 993 1.024 1.066 1.103 1.115 Quelle: IGES Institut 39
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