Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 109, Nr. 4, 16.2.2019, (270) Von einem war in den Warnungen, die die zahnärztlichen Standesvertreter im Hinblick auf die nahende Entscheidung zum Termin- service- und Versorgungsgesetz aussprachen, nicht die Rede: einem Paradigmenwechsel in der zahnärztlichen Versorgung, der sich alsbald einstellen könnte, wenn der Einstieg von Finanzinvestoren in die zahnmedizinische Versorgung ungebremst weitergeht. Paradigmenwechsel sind die seltenen Augen- blicke, in denen sich Grundlegendes ändert. Im Rahmen von Festreden werden sie gern erwähnt – nicht selten bleibt es bei zwar wohlklingenden, aber bemühten Gedanken- konstrukten. Paradigmenwechsel zu ver- künden schafft heute kaum noch Aufmerk- samkeit, weil inzwischen alle Akteure irgend- einen mehr oder minder bedeutungsarmen Paradigmenwechsel verkünden. Die infla- tionäre Verwendung entwertet den Begriff und ist dann leider denjenigen im Weg, die tatsächlich auf etwas Grundlegendes hinzu- weisen haben. Dennoch: Eßer spricht von nichts Geringerem als einem handfesten Paradigmenwechsel in der zahnmedizinischen Versorgung, über den das TSVG demnächst entscheiden wird. Es geht darum, ob Investmentgesellschaften die zahnärztliche Versorgung als Kapital- anlageobjekt zum Erwirtschaften von Ren- diten benutzen dürfen oder nicht. Diese eigentlich zunächst harmlos wirkende Frage ist jedoch eingebettet in einen weit tieferen Zusammenhang, in dem es um das Primat in der zahnärztlichen Versorgung geht. Soll die Versorgung künftig weiter nach den Prinzipien ärztlicher Berufsausübung oder nach den Gesetzen der Betriebswirtschaft organisiert werden? Der Einfluss von Industrie und Politik Die Frage ist nicht neu – seit den 1990er- Jahren proklamieren die auflagenstarken Industrie-gesponserten Dentalmedien den Zahnarzt als Unternehmer. Der Zahnarzt sei nicht nur Arzt, er müsse auch betriebswirt- schaftlich denken – dazu gehöre modernes Markenimage, Werbung, Patientenselektion über gezieltes Marketing und letztlich das ganze Arsenal unternehmerischen Handelns. Der Hintergrund ist klar: Je mehr Umsatz in den Praxen erzielt wird, desto mehr ver- dienen die Firmen mit. Da der Arzt – anders als ein Unternehmer – weit schwieriger auf umsatzsteigernde Überversorgungskonzepte anzusprechen ist, wird der Markt in kurzen Zyklen mit vorgeblichen Innovationen ge- flutet. So entsteht der Eindruck von über- bordender Innovationskraft: Alles wird immer schneller, besser, leistungsfähiger. Auch die Botschaft, die Kaufdruck erzeugen soll, ist klar: Arbeitest Du noch mit dem Equipment von gestern oder gehst Du mit dem Fortschritt? Der Unternehmer wird das ganze Marketinggeklingel der Industrie als willkommene Verkaufsunterstützung beim Kunden (vormals Patienten) einsetzen. Der Arzt ist wesentlich renitenter und fragt kritisch nach dem konkreten Nutzen einer Innovation. Wo liegt der Vorteil für Diagnos- tik, Therapie, Workflow in der Praxis? Bei näherem Hinsehen entpuppt sich dann vieles als substanzarme Neuauflage vorhandener Produkte. Nebenher bemerkt: Weil eben die Botschaft „Fortschritt“ so oft mit leeren Versprechungen verbunden ist, darf es bei- spielsweise auch nicht verwundern, wenn der Hype um die Digitalisierung aus ärztlicher Sicht immer etwas misstrauisch beäugt wird. Doch nicht nur von der Dentalindustrie wird der Zahnarzt gern in die Unternehmerrolle gedrängt. Auch vonseiten der Politik spricht man ihn bevorzugt als Unternehmer an, insbesondere dann, wenn es um die Imple- mentierung wettbewerblicher Elemente in der Versorgung geht. Wettbewerb wird da regelmäßig als Preis- und nicht als Qualitäts- wettbewerb kommuniziert. Es ist zum gro- ßen Teil die Hoffnung auf preisgünstigere „Leistungserbringung“ durch Großversorger- strukturen und mehr Wettbewerb, die in der Politik für die immer weitere Öffnung der zahnmedizinischen Versorgung für MVZ und Fremdinvestoren sorgt. Es hat sich dort inzwischen eine weitgehend technokratisch- ökonomistische Perspektive auf die „Leis- tungserbringer“ entfaltet, die lieber mit steuerbaren Parametern wie „Unternehmen“, „Produkt“ beziehungsweise möglichst nor- mierte „Leistungserbringung“ oder „Wett- bewerb“ hantiert als mit den vergleichs- weise komplexen und nicht normierbaren Pendants „Arzt“, „Behandlung“, „Qualitäts- wettbewerb“und „beste Versorgung für den Patienten“. Z-MVZ-Diskussion richtige Dachzeile! Kommentar Die zahnärztliche Versorgung steht am Scheideweg Benn Roolf Der Satz war leise gesprochen, deshalb ist ungewiss, ob die Botschaft, die der KZBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Wolfgang Eßer auf dem Neujahrsempfang der Zahnärzteschaft an die Politik adressierte, wirklich in ihrer ganzen Tragweite gehört wurde. Das TSVG werde darüber entscheiden, sagte Eßer, wie die zahn- ärztliche Versorgung in 5, 10, 15 oder 20 Jahren aussieht, ob sie weiterhin freiberuflich getragen sein wird und ob Renditeerzielung vor Patienten- und Gemeinwohl steht. Benn Roolf ist Redakteur für Wissenschaft und Zahnmedizin bei den zm. Porträt: zm-mg 32 Wie das TSVG die zahnmedizinische Versorgung verändert

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=