Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 109, Nr. 4, 16.2.2019, (272) Jede politische Intervention hinterlässt Spu- ren und so lassen sich die gesetzlichen Rege- lungen an ihren Ergebnissen messen. Seit im Jahr 2015 arztgruppengleiche MVZ zu- gelassen wurden, schießen die Zahlen der MVZ-Gründungen in die Höhe. Etwas zeit- verzögert entdecken Finanzinvestoren die Chancen der neuen Rahmenbedingungen. Dann dauert es ein wenig, ehe die Strukturen sich etablieren, aber heute lassen sich aus den verfügbaren Daten erste Erkenntnisse ableiten. Dabei geht es insbesondere um die Frage, ob MVZ die Versorgung tatsächlich preiswerter machen können. Die Versorgung wird teurer Um diese Frage zu beantworten, hat die KZBV die vorliegenden Abrechnungsdaten von MVZ und Fremdinvestoren-MVZ mit denen der Einzelpraxen und Berufsaus- übungsgemeinschaften verglichen. Ergebnis: Es gibt teilweise deutliche Unterschiede. Bei Z-MVZ zeigen sich höhere Fallwerte in der Zahnerhaltung, mehr Zahnersatz, mehr Implantate, mehr kostenintensive Behand- lungen und nicht zuletzt höhere Eigenbetei- ligungen der Patienten. Deutlich sichtbar ist bereits heute: die Konzentration auf Umsatz und Rendite. Wer im letzten Jahr noch über die mannig- faltigen Vorteile von Großversorgerstruktu- ren – Skalierungsvorteile durch den günsti- geren Einkauf von Materialien, eine bessere Auslastung von Gerätschaften und Behand- lungsräumen und so weiter – spekulierte, wird nun eines Besseren belehrt. Die zahn- ärztliche Versorgung mit Investoren-MVZ wird nicht – wie vielseits erwartet – preis- werter, sondern im Gegenteil teurer! Diese Botschaft sollte gerade auch die Kassen interessieren, unter deren Protagonisten sich ja hartnäckig die Vorstellung hält, mit MVZ ließe sich die Versorgung billiger und besser gestalten. Aber auch die Politik sollte einen Augenblick innehalten und diesen Befund in ihre Überlegungen einbeziehen – niemand kann schließlich daran interessiert sein, ein funktionierendes Versorgungssystem so umzugestalten, dass am Ende Kosten- steigerungen stehen – wohlgemerkt ohne mundgesundheitlichen Mehrwert. Doch bei der anstehenden Entscheidung über die Begrenzung oder Nichtbegrenzung von Fremdinvestoren-MVZ im TSVG geht es mitnichten nur um Kosten. Es geht auch um die Qualität der zahnmedizinischen Versorgung, die sich an der patientengerechten Indikations- stellung misst. Ein Trend, den die jüngsten Zahlen zum Abrechnungsverhalten von Fremd- investoren-MVZ zeigen, ist die weit höhere Abrechnungsintensität bei Neuversorgungen mit Zahnersatz. Statt präventiv und zahn- erhaltend zu behandeln, liegt der Fokus auf profitablen Zahnersatzversorgungen. Es ist eine zahnmedizinische Binsenweisheit, dass der natürliche, körpereigene Zahn jedem noch so hochwertigen Zahnersatz biologisch haushoch überlegen ist. Genau deshalb hat sich in den letzten Jahrzehnten eine nach- haltige Entwicklung in der Zahnmedizin hin zu verstärkter Prävention mit besserer Mund- hygiene (häuslich und professionell als PZR in der Praxis), zur Erhaltung der natürlichen Zähne und zu minimalinvasiven Eingriffen vollzogen. Kleine „Karieslöcher“ werden eben nicht mehr unter Verlust von viel gesunder Zahnsubstanz soweit „ausgebohrt“, bis große Füllungen oder Inlays hineinpassen, sondern minimalinvasiv mit Kunststoffinfiltrationen oder kleinen Kompositfüllungen behandelt. Die Klebebrücke, stabil angeklebt auf dem Nachbarzahn, entwickelt sich zur ernstzu- nehmenden Alternative für die konventio- nelle Brückenversorgung. Vorteil: Das mit vergleichsweise viel Verlust an Zahnsubstanz verbundene Präparieren und Überkronen gesunder, aber als Brückenanker benötigter Zähne wird vermieden. Abschied von der Pävention Was sich hier in langen Jahren der wissen- schaftlichen Forschung und Implementie- rung in der zahnärztlichen Praxis als sinnvoll und patientengerecht entwickelt hat, wird jedoch nicht mit den Verlockungen schnel- ler Renditeziele zusammenpassen. Während derjenige Zahnarzt, der im Sinne einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung „seinen“ Patienten über Dekaden hinweg sinnvoll betreut, gut und auch auskömmlich präventive Zahnmedizin betreiben kann, entsteht unter der Maxime, Unternehmens- renditen zu erwirtschaften, ein ungleich hö- herer Handlungsdruck hin zu Maximalver- sorgungen und profitablen Behandlungen. Und das umso mehr, je stärker die Konkur- renz in städtischen Ballungsräumen ist, wo der Behandler nicht sicher sein kann, ob der urban-mobile Hipster-Patient nicht schon eine Stunde später bei der Nachbarkette auf dem Behandlungsstuhl sitzt und sich eine noch teurere „High end“-Behandlung zum selbstverständlich besten Preis aufschwatzen lässt. Schöne neue MVZ-Welt ... Es hat gut drei Jahrzehnte gebraucht, um in der Zahnmedizin präventive und minimal- invasive Konzepte samt den dazugehörigen diagnostischen und therapeutischen Mitteln so zu entwickeln und in die breite Anwendung zu überführen, dass man heute mit Fug und Recht von einem echten Paradigmenwechsel von der Kuration zur Prävention sprechen kann. Die Erfolge dieser Entwicklung sind hin- länglich bekannt: Kariesrückgang auf breiter Front, mehr erhaltene Zähne und bessere Mundgesundheit bis ins hohe Alter. Im Be- reich der GKV ist die Zahl der Füllungsversor- gungen seit Langem rückläufig, die Kosten- entwicklungen in der zahnärztlichen Versor- gung sind seit Jahren unterdurchschnittlich. Im Gegensatz dazu weisen die Zahlen aus dem Versorgungsgeschehen der MVZ in die entgegengesetzte Richtung. Aufwendige, teure und nicht zuletzt invasivere Ver- sorgungen – übrigens auch mit all ihren Risiken – stehen im Fokus der Investoren. Wird dem Trend zu immer mehr Investoren- MVZ nicht Einhalt geboten, sind wir dabei, die Erfolge einer präventionsorientierten und immer minmalinvasiver vorgehenden Zahnmedizin zu verspielen und das Rad der Entwicklung zurückzudrehen. Die Entwicklung zu mehr Mundgesundheit in unserem Land hat sich nicht mit rendite- orientierten Investoren-MVZ, sondern mit einer intakten Struktur niedergelassener Zahnärzte vollzogen. Warum nur – so muss man fragen – will man ein gewachsenes und hervorragend funktionierendes System in so radikaler Weise verändern? Das käme einem Paradigmenwechsel gleich – allerdings in eine Richtung, die niemand wirklich wollen kann. \ 34 Wie das TSVG die zahnmedizinische Versorgung verändert

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