Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 109, Nr. 4, 16.2.2019, (288) Aktuell leben in Deutschland rund 17,3 Millionen Menschen, die 65 Jahre und älter sind. Das sind etwa 21 Prozent der Bevöl- kerung. Statistischen Berechnungen zufolge könnte ihr Anteil 2060 auf rund 33 Prozent steigen [Statistisches Bundesamt, 2015]. Die fünfte Mundgesundheitsstudie (DMS V) zeigt, dass heute weniger jüngere Senioren (65- bis 74-Jährige) zahnlos sind [Institut der Deutschen Zahnärzte (IDZ), 2016]. Durch- schnittlich besitzen sie heute fünf Zähne mehr als 1997. Gleichzeitig gibt es jedoch mehr pflegebedürftige Menschen, die nicht mehr selbstständig ihre Zahnarzttermine wahrnehmen können [IDZ, 2016]. Somit verlagern sich Zahn- und Kiefererkrankun- gen aufgrund des demografischen Wandels immer weiter ins höhere Alter, in dem Patienten vermehrt an chronischen Krank- heiten leiden [IDZ, 2016]. Mittlerweile leiden 45 Prozent der Männer und 56 Prozent der Frauen über 65 Jahre an Gesundheitsproblemen in drei oder mehr Krankheitsbereichen [Moßhammer, 2016]. Bereits das gleichzeitige Vorliegen von zwei oder mehr chronischen Erkrankungen wird als Multimorbidität bezeichnet [Salive, 2013]. Ein zentraler Risikofaktor für die zahnärzt- liche Behandlung alter und geriatrischer Pa- tienten ist die Polymedikation. Unter Poly- medikation oder Polypharmazie versteht man allgemein die Einnahme von fünf und mehr Wirkstoffen. Allerdings fehlt zurzeit noch eine international verbindliche und einheitliche Definition [Marengoni, 2015; Masnoon, 2017]. In der „Studie zur Ge- sundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) findet sich bei 42 Prozent der Män- ner und bei 51 Prozent der Frauen über 65 Jahre eine Polypharmazie [Knopf, 2013]. Pharmaka wirken im Alter nicht grund- sätzlich „anders“, aber Gebrechlichkeit, Änderungen der Zell- und Organstrukturen, multiple Erkrankungen und Arzneimittel- interaktionen machen die angemessene Pharmakotherapie bei alten Patienten deut- lich schwieriger als bei jungen und erfordern ein individuelles Eingehen auf die spezifische Situation jedes Patienten [Dittrich, 2013] (Abbildung 1). \ Welche Daten im zahnmedizinischen Bereich existieren zu diesem Thema? In England verzeichnete eine Verlaufsstudie zwischen 1984 und 2005 einen Anstieg der Patienten mit regelmäßiger Medikamenten- einnahme in allgemeinzahnärztlichen Praxen von 35 auf 43,8 Prozent [Carter, 2007]. Die Daten dürften stellvertretend für eine gene- relle Entwicklung in den Industrieländern stehen. Doch auch in Schwellenländern scheint es einen ähnlichen Trend zu geben – beispielsweise nehmen in Indien zwischen 40 und 50 Prozent der Patienten in zahn- ärztlichen Praxen ein oder mehrere Medika- mente ein [Aggarwal, 2011]. Diese Multi- medikation führt dazu, dass der Einsatz der üblichen dentalen Pharmaka immer öfter Ältere Patienten mit Polymedikation Zahnärzte sollten Nicht-Opioide gezielter einsetzen Frank Halling, Andreas Neff, Thomas Ziebart Dieser Beitrag zeigt die Risiken und Wechselwirkungen der von Zahnärzten bevorzugt verordneten Analgetika und Antibiotika bei älteren, multi- medikamentierten Patienten. Grundlage sind die seit 2013 verfügbaren zahnärztlichen Verordnungsdaten aus dem jährlich erscheinenden „Arznei- verordnungs-Report“. Abbildung 1: Wichtige pharmakokinetische Ursachen für Probleme in der Pharmakotherapie bei älteren Patienten Quelle: F. Halling 50 Zahnmedizin

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