Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 109, Nr. 4, 16.2.2019, (289) am individuellen Risikoprofil des einzelnen Patienten ausgerichtet werden muss [Carter, 2007; Fitzgerald, 2015]. Gleichzeitig steigt durch die Einführung neuer Wirkstoffe das Risiko unerwünschter Arzneimittelreaktionen in der Mundhöhle und unerwarteter Wechsel- wirkungen [Yuan, 2015]. In einer Übersichts- arbeit zu den zahnärztlich relevanten Wechsel- wirkungen der 50 meistverordneten Medi- kamente in Deutschland (TOP 50) fanden sich vor allem Interaktionen in den Bereichen der kardialen Erregungsleitung, der syste- mischen Adrenalinwirkung, der Regulation des Blutzuckerspiegels und der Beeinflussung des Blutungsrisikos [Halling, 2013]. Die seit 2013 verfügbaren zahnärztlichen Verordnungsdaten aus dem jährlich erschei- nenden „Arzneiverordnungs – Report“ [Hal- ling 2014, 2015, 2016, 2017b; Schwabe, 2013] sollen im Folgenden verwendet wer- den, um Risiken und Wechselwirkungen der von Zahnärzten bevorzugt verordneten Analgetika und Antibiotika bei älteren, multi- medikamentierten Patienten aufzuzeigen. Analgetika in der Zahnmedizin Bei den Analgetika steht bei den Zahnärzten mittlerweile das nichtsteroidale Antiphlogis- tikum (NSAR) Ibuprofen mit einem Anteil von 88 Prozent im Jahr 2016 weit an der Spitze der Verordnungen [Halling, 2017b; Halling, 2018] (Tabelle 1). Andere Wirkstoffe spielen keine nennenswerte Rolle mehr. Nebenwirkungen, die unter NSAR auftreten können, sind: gastrointestinale Störungen, Nierenfunktionsstörungen, Blutdrucksteige- rung, Thrombozytenaggregationshemmung, kardiovaskuläre Effekte und allergische Reak- tionen. Da Ibuprofen ein typischer Vertreter der Gruppe der NSAR ist, zeigt es auch die entsprechenden Neben- und Wechsel- wirkungen. Nach bisherigem Kenntnisstand führen NSAR zu einer drei- bis fünffachen Erhöhung des Risikos für Komplikationen im oberen Gastrointestinaltrakt (GI) [Henry, 2003]. Bekannte Risikofaktoren sind unter anderem ein höheres Alter, eine Ulcus- anamnese oder die gleichzeitige Gabe von Glukokortikoiden [Hernandez-Diaz, 2000] (Tabelle 3). Anhand einer Metaanalyse von Beobach- tungsstudien aus den Jahren 1980 bis 2011 wurde jetzt das relative Risiko für diese GI- Komplikationen (obere GI-Blutung, Perfora- tion, Ulkus) bei einzelnen NSAR einschließ- lich Coxiben im Vergleich zu keiner Ein- nahme von NSAR untersucht [Castellsague, 2012]. Das gepoolte, relative Risiko von Ibu- profen lag mit 1,84 deutlich vor Diclofenac (3,34) und Ketoprofen (3,92), aber nur et- was schlechter als der reine Cycloxygenase- 2-Inhibitor Celecoxib (1,45) [Coxib and traditional NSAID Trialists‘ (CNT) Collabora- tion, 2013]. Bei einem erhöhten gastro- intestinalen Risikoprofil (zum Beispiel M. Crohn) ist der Zusatz eines Magenschutzes zu traditionellen NSAR wie Ibuprofen oder die Wahl eines selektiven COX-2-Hemmers angezeigt. Da die Hypertonie und die ischämischen Herzkrankheiten zu den zehn häufigsten hausärztlichen Diagnosen zählen [KBV, 2015], ist die Metaanalyse von Trelle und Mitarbeitern von Bedeutung, in der erstmals klar nachgewiesen wurde, dass NSAR mit einem erhöhten Risiko für kardiovaskuläre Nebenwirkungen behaftet sind [Trelle, 2011]. Eine kürzlich publizierte Metaanalyse bestätigte diese Ergebnisse, fand aber sogar bei nur kurzzeitigem Gebrauch von NSAR Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für Myo- kardinfarkte [Bally, 2017]. Letztlich bleibt der Einsatz von NSAR bei kardiovaskulären Risikopatienten problematisch. Bei schweren Leberfunktionsstörungen (cave: Alkoholismus), peripherer arterieller Verschlusskrankheit und/oder zerebrovasku- lärer Erkrankung sind NSAR kontraindiziert [Kojda, 2016]. Nehmen Patienten dauerhaft Thrombozytenaggregationshemmer wie Clopidogrel oder Acetylsalicylsäure ein, muss man bei einer Komedikation von NSAR mit einer Erhöhung des Blutungsrisikos rechnen (Tabelle 3). Da in der Schmerztherapie nicht selten NSAR mit Antidepressiva kombiniert werden, ist bei der gleichzeitigen Einnahme von Serotonin-Reuptakehemmern (SSRI) (zum Beispiel Citalopram) und NSAR besonders auf die verstärkte Blutungsneigung aufgrund der wirkstoffspezifischen Thrombozyten- funktionshemmung der SSRI zu achten [Loke, 2008] (Tabelle 3). Eine verstärkte Blutungsneigung kann natürlich auch bei jeder Kombination von NSAR mit Anti- koagulantien, Heparinen oder weiteren Thrombozytenaggregationshemmern auf- treten [Donnerer, 2017]. Dagegen ist das Potenzial von Interaktionen bei Paracetamol, das bei geriatrischen Pa- tienten als schwaches Analgetikum der Wahl gilt, deutlich geringer. Dennoch muss Paracetamol wegen der reduzierten Leber- funktion im Alter vorsichtig dosiert werden. Empfehlenswert sind eine Einzelhöchstdosis von 500 mg, eine Tageshöchstdosis von 2 g sowie ein Dosisintervall von sechs Stunden. Als weitere Alternative kann nach sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung auch Metamizol Anteile der verschiedenen Analgetika(gruppen) bei den zahnärztlichen Verordnungen 2012–2016 (100% = alle zahnärztlich verordneten Analgetika des Jahres) Wirkstoff Ibuprofen Diclofenac Metamizol Paracetamol Kombinationen mit Codein Sonstige Quelle: F. Halling; Tabelle 1 2012 61,9 2,7 2,6 0,6 5,2 27 2013 76,8 3,2 3,2 0,7 5,1 11 2014 82,3 3,3 3,6 0,6 4,4 5,8 2015 87,8 2,1 3,8 - 3,1 3,2 2016 88,1 2,3 3,8 - 2,8 3 51

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