Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05
zm 109, Nr. 5, 1.3.2019, (377) Um ehrlich zu sein – nicht jedes Editorial fließt einem in kurzer Zeit aus der Feder. Das hat seine Ursache zugebenermaßen in einem hin und wieder ermatteten Geist. Oft liegt es aber auch am Thema und den damit verbundenen Umständen. Weil zum Beispiel nicht zu jeder Zeit alles veröffent- licht werden kann oder darf. Sie ahnen es – dies betrifft vor allem die politische Arbeit der Herausgeber Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztliche Bundesvereini- gung. Von innen betrachtet gleicht die politische Arbeit, die Bezeichnung Kärrner- arbeit ist dafür durchaus angemessen, häufig einer Springprozession. Von außen ähnelt sie eher einem evolutionären Pro- zess, bei dem leider nicht die Darwin‘sche Regel des „survival of the fittest“, sondern „of the strongest“ gilt. Welche Personen- gruppe die letztere Rolle meist lautstark für sich reklamiert, dürfte auf der Hand liegen. Je nach politischer Wetterlage bekomme ich vielfach Leserzuschriften mit teils heftigen Unmutsbezeugungen und dem Tenor, dass die Führung der Zahnärzteschaft nichts tun würde, gegen den betreffenden Missstand schon mal gar nichts. Auch wenn ich aus eigenem Erleben versichern kann, dass dieser Eindruck falsch ist, hilft es keinem der in der Versorgung tätigen Kolleginnen oder Kollegen, die sich zu recht beklagen, dass sie bis zu 50 Prozent ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Regulierungen, der praktischen Zahnmedizin nicht wirklich angemessenen Hygienevorgaben oder auch der Qualitätssicherung verbringen dürfen. In einer E-Mail wurde ich kürzlich gefragt, ob ich immer noch glaube, dass die Politik in Bezug auf Z-MVZ nur irrre- geleitet sei. Frei nach Radio Eriwan wäre meine Antwort: Es kommt drauf an … Die seit 2015 möglichen arztgruppen- gleichen MVZ sind die logische Weiter- entwicklung des seit 2004 von der Politik beschrittenen Weges, Versorgung anders als im klassischen Praxis-Modell zu gestalten. Das diese dadurch besser wird, wenn nun auch Fremdinvestoren-Z-MVZ mitmischen, wage ich zu bezweifeln. Ob die Politik mit der steigenden Zahl unterschiedlich motivierter Leistungserbringer zukünftig ein „leichteres“ Spiel haben wird? Dieses politische Kalkül wird meines Erachtens nicht aufgehen. Allein schon deshalb nicht, weil die Versorgung nicht billiger, sondern teurer werden wird, wie erste Auswertun- gen der Abrechnungen zeigen. Gemessen an der Anzahl der Leserbriefe war und ist die „TI“ ein Aufregerthema. Dies umso mehr, je näher der Sanktions- termin rückt. Der häufig ausgedrückte Wunsch: Aufruf zu einem kollektiven Boykott. Weil dieser nicht erfolgt, ist die zm – freundlich formuliert – auch bloß ein zahnloser Tiger. Wenn ich an die verbal hochgerüsteten Zeiten der Korbmodelle der Zahnärzte-, Hausärzte- und mancher Facharztverbände zurückdenke, dann fußte die damalige konfrontative Rhetorik jeden- falls nicht auf der realen Mehrheit der nie- dergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Was soll also das Ziel des Boykotts der TI sein? Beispielsweise Schutz der eigenen Behandlungsdaten? Oder der Patienten- daten? Wir wissen alle, dass es in der IT keinen hundertprozentigen Schutz geben kann. Wird es deswegen weniger Digitali- sierung geben? Fakt ist, dass die Mehrheit der deutschen Patienten sich vorstellen kann, die eigenen Daten für den medizinischen Fortschritt „nutzen“ zu lassen. Die Mög- lichkeiten und apostrophierten Erfolge von Big Data und künstlicher Intelligenz ver- sprechen den Menschen bereits jetzt mehr als die Angst vor potenziellem Daten- verlust. Insgesamt 85 Prozent der Kommu- nikation unter Heilberuflern erfolgt auch heutzutage analog. 75 Prozent wünschen sich aber dringend eine sichere digitale Kommunikation. Macht ein Boykottaufruf gegen die TI also Sinn? Wird dieser von der zahnärztlichen Mehrheit gewollt? Aus meiner Sicht ein klares Nein. Aus meiner Sicht sind die Angebote der Tech-Giganten à la Google, Amazon, Apple, Facebook derzeit keine Alternative zur TI. Der existente Wildwuchs bei den elektronischen Patientenakten spricht dazu Bände und ist gerade nicht der TI beziehungsweise der gematik anzulasten. Ein chinesisches Sprichwort sagt: Wenn der Geist der Ver- änderung weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen. Aber beides hat auf den Wind keinen Einfluss … Foto: zm-Axentis.de Frei nach Radio Eriwan Dr. Uwe Axel Richter Chefredakteur 3 Editorial
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