Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05

zm 109, Nr. 5, 1.3.2019, (414) Non-Malefizienz: Aufgrund der vielfach denkbaren Schäden, die ein Patient bei einer unsachgemäßen Behandlung erleiden kann, bleibt unter dem Aspekt des Nichtschadensprinzips eine Delegation zahnärztlicher Aufgaben an den Zahntechniker obsolet. Hier gilt es zu bedenken, dass die genuine Ausbildung zur zahnärztlichen Tätigkeit dem zahnmedizinischen Studium obliegt. Umge- kehrt wird das Bild von Zahnmedizin aber durch die Studieninhalte bestimmt: Proble- matisch erscheint dabei, dass zwischen natur- wissenschaftlicher Grundlagenausbildung und den Behandlungskursen im klinischen Studienteil vier Propädeutik- beziehungs- weise Phantomkurse eingefügt sind. Deren Hypothek ist, dass dem künftigen Zahnarzt am Modell vermittelt wird, dass sich die Behandlung des Patienten scheinbar im Er- füllen technischer Anforderungen erschöpft. Sich von dieser Vorstellung zu lösen, fällt manchem schwer, wodurch die Hemm- schwelle für eine Delegation des Zahnarztes an den Zahntechniker vielfach niedrig bleibt. Gerechtigkeit: Als eines der vier ethischen Prinzipien ist auch für die gleichheitliche Behandlung der den Zahnarzt aufsuchenden und in dessen Praxis behandelten Patienten Sorge zu tragen. Ein Vorzug seitens des Zahnarztes, welcher Patient von ihm selbst behandelt wird und welcher ins zahntechnische Labor verwiesen wird, ist ethisch nicht zu recht- fertigen. In bestimmten Situationen kann es aus Sicht der Gerechtigkeit geboten erscheinen, einen Zahntechniker mehr als üblich einzubinden. Dabei muss dem Patienten das Supervising durch den Zahnarzt zur Verfügung stehen. Fazit Als Fazit sei herausgestellt, dass im vorlie- genden Fall eine professionelle Antinomie auffällt, die durch eine Spannung zwischen wirtschaftlichem Druck und dem Behandeln zum Wohlergehen des Patienten gekenn- zeichnet ist. Es gilt, keinen Pol zugunsten des anderen unberücksichtigt zu lassen, sondern zwischen beiden zu reflektieren. Ethisch bleibt der Patient in seiner Vulnera- bilität aber an höchster Stelle angesiedelt. Wirtschaftliche Aspekte sind demgegenüber nachrangig. Betrachtet man die Realität eines Patienten, so ist es gerechtfertigt, Aspekte der Lebensplanung, Erhalt der so- zialen Stellung und der Menschenwürde, mit ins Kalkül zu ziehen. Und dies betrifft nie nur die Person eines Patienten alleine, son- dern immer auch dessen Umfeld, womit quasi alternative Entscheidungen durchaus nachvollziehbar werden. Hinterfragenswert erscheinen in diesem Kontext allerdings gesundheitspolitische Handlungsbedingungen, deren Verwaltungs- vorgaben dazu beitragen, dass die Zeit zur Behandlung immer knapper wird. Letztlich sind zum einen die orale Situation wie auch die Auswirkungen auf den Patien- ten zu bedenken. Dass beide Aspekte im Rahmen des gesellschaftlichen Versorgungs- auftrags bedeutend sind, begründet sich auf einem Kernmerkmal der Professionen: die Gesunderhaltung des einzelnen Menschen als Zentralwertbezug zur Gesellschaft. Dr. Dr. Mike Jacob Maximinstr. 45, 66763 Dillingen/Saar dr.mikejacob@t-online.de Porträt: privat Ethische Dilemmata, also Situationen, in denen der Zahnarzt zwischen zwei konkur- rierenden, nicht miteinander zu vereinba- renden Handlungsoptionen zu entscheiden oder den Patienten zu beraten hat, lassen sich mit den Instrumenten der Medizinethik lösen. Viele der geläufigen Ethik-Konzep- tionen (wie die Tugendethik, die Pflichten- ethik, der Konsequentialismus oder die Für- sorge-Ethik) sind jedoch stark theoretisch hinterlegt und aufgrund ihrer Komplexität in der Praxis nur schwer zu handhaben. Eine methodische Möglichkeit von hoher praktischer Relevanz besteht hingegen in der Anwendung der sogenannten Prinzipien- ethik nach Tom L. Beauchamp und James F. Childress: Hierbei werden vier Prinzipien „mittlerer Reichweite“, die unabhängig von weltanschaulichen oder religiösen Über- zeugungen als allgemein gültige ethisch- moralische Eckpunkte angesehen werden können, bewertet und gegeneinander ab- gewogen. Drei dieser Prinzipien – die Patientenauto- nomie, das Nichtschadensgebot (Non-Ma- lefizienz) und das Wohltunsgebot (Benefi- zienz) – fokussieren ausschließlich auf den Patienten, während das vierte Prinzip Ge- rechtigkeit weiter greift und sich auch auf andere betroffene Personen oder Personen- gruppen, etwa den (Zahn-)Arzt, die Familie oder die Solidargemeinschaft, bezieht. Für ethische Dilemmata gibt es in den meisten Fällen keine allgemein verbind- liche Lösung, sondern vielfach können differierende Bewertungen und Hand- lungen resultieren. Die Prinzipienethik er- möglicht aufgrund der Gewichtung und Abwägung der einzelnen Faktoren und Argumente subjektive, aber dennoch nachvollziehbare und begründete Gesamt- beurteilungen und Entscheidungen. Des- halb werden bei klinisch-ethischen Fall- diskussionen in den zm immer wenigstens zwei Kommentatoren zu Wort kommen. Oberstarzt Prof. Dr. Ralf Vollmuth Die Prinzipienethik 40 Zahnmedizin

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