Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05
zm 109, Nr. 5, 1.3.2019, (416) Zahntechniker M. sah sich der Bitte von Zahnarzt Dr. W. ausgesetzt, die bewusste Arbeit fertigzustellen. Ihm war zwar klar, dass diese Vorgehensweise nicht den gültigen Normen entsprach, aber solche Leistungen gehörten in seinem Umfeld nun mal zum „Service“, den ein Labor heutzutage zu er- bringen hat, um sich bei zunehmendem Konkurrenzdruck auf dem Markt zu be- haupten. Folgende ethische Probleme und Fragestel- lungen lassen sich herausarbeiten: 1. Darf ein Zahnarzt originäre zahnärztliche Behandlungsmaßnahmen an seinen Zahn- techniker – aus welchen Gründen auch immer – delegieren, unabhängig davon, ob der Zahn- techniker dazu technisch in der Lage ist? 2. Warum haben beide Parteien bewusst gegen Konventionen verstoßen? 3. Müsste der Verstoß anders gewertet werden, wenn die Patientin zufrieden gewesen wäre? Zu 1.: Durch seine besonderen Berufspflichten darf ein Zahnarzt zahnmedizinische Leis- tungen nicht an Zahntechniker übertragen. Dr. W. hat das ihm von seiner Patientin entgegengebrachte Vertrauen zu rechtferti- gen, wonach alle Regelungen zum Schutz ihrer Gesundheit eingehalten werden, auch wenn sie darüber im Einzelfall keine Kennt- nis hat. Das entspricht dem Nichtschadens- gebot (Non-Malefizienz) und dem Wohltuns- gebot der Prinzipienethik nach Beauchamp und Childress. Zu 2.: Zahnarzt Dr. W. hat von einer Mög- lichkeit Gebrauch gemacht, die ihm einen deutlichen wirtschaftlichen und organisa- torischen Vorteil verschafft. Er hat das Ver- trauen seiner Patientin missbraucht, indem er Leistungen auf nicht dafür qualifiziertes Personal übertrug, wobei er allerdings das Selbstbestimmungsrecht vordergründig be- achtet hat, da er seine Patientin über diese Delegierung unterrichtet hat und diese ein- verstanden war. Zahntechniker M. hat sich dem Konkurrenz- druck gebeugt und wirtschaftliche Zwänge über rechtliche Beschränkungen gestellt. Medizinethische Prinzipien werden hier allerdings weniger berührt als wirtschafts- ethische Regeln. Beide Parteien haben ihr Eigeninteresse über das Interesse der Patientin gestellt. Zu 3.: Unabhängig von einem zu erwarten- den oder eingetretenen Schaden muss der Zahnarzt alle Regeln der zahnmedizinischen Berufsausübung befolgen. Da von seinen Patienten nicht erwartet werden kann, dass sie diese Regeln kennen, müssen sie sich auf ihren Zahnarzt verlassen können. Dieses Abhängigkeitsverhältnis bedingt eine be- sondere Fürsorgepflicht vonseiten des Zahnarztes, was die Zurückstellung eigener Interessen hinter den Wunsch und Willen des Patienten bedeuten kann. Beide Parteien haben sich sowohl rechtlich als auch moralisch falsch verhalten. Der Umstand, dass die Übertragung von zahn- ärztlichen Aufgaben an Zahntechniker weit verbreitet ist, macht aus einem Fehl- verhalten kein Wohlverhalten. Unabhängig davon, ob der Patientin ein direkter Schaden entstanden ist, haben beide das Vertrauen der Patientin missbraucht, indem sie gegen ihnen bekannte Regeln zum eigenen Vorteil verstoßen haben. Die Lösung eines solchen Problems kann nur darin bestehen, dass Zahnarzt und Zahn- techniker sich ihrer besonderen Verantwor- tung den Patienten gegenüber bewusst werden und darüber auch miteinander sprechen. Die Patientin in diese Diskussion einzubeziehen, würde deren Vertrauen in die jeweiligen Behandler stören beziehungs- weise zerstören. Gründe für die Übertragung von zahnärztlichen Aufgaben an den Zahn- techniker sollten lediglich organisatorischer, keinesfalls aber wirtschaftlicher oder fach- licher Natur sein und betreffen ausschließ- lich das Innenverhältnis zwischen Zahnarzt und Zahntechniker. Die Patienten sind für die ökonomische Zwangslage des Zahn- technikers nicht verantwortlich. Die Auf- gabe des Zahntechnikers ist hier nicht die Aufklärung oder gar Empfehlung an einen anderen Zahnarzt, sondern lediglich die Unterlassung der unzulässigen Tätigkeit. Er kann sich seiner Pflicht, den Auftrag abzu- lehnen, nicht entziehen. Auch dann nicht, wenn es dadurch zum Verlust eines Kunden käme. Die jeweilige Innung und die zustän- dige Zahnärztekammer einzubeziehen, ist zweifellos möglich, ein persönliches Ge- spräch zwischen Zahnarzt Dr. W. und Zahn- techniker M. aber sicherlich zielführender. Letztlich bleibt festzustellen, dass der Ver- stoß gegen gültige Rechtsnormen oder Konventionen auch dann falsch gewesen wäre und damit nicht anders bewertet wer- den kann, wenn der implantatgetragene herausnehmbare Zahnersatz im Oberkiefer zur Zufriedenheit der Patientin eingegliedert worden wäre. Ein echtes ethisches Dilemma besteht letzt- lich nur dann, wenn die zur Verfügung stehenden Alternativen gleichermaßen negative Folgen hätten. Das Recht der Pa- tienten auf maximalen Schutz vor negativen Folgen einer Behandlung ist höher zu be- werten als das Recht des Zahntechnikers auf wirtschaftlichen Erfolg. Dr. Gero Kroth Habichtweg 7, 50859 Köln mail@DrKroth.de Haben Sie in der Praxis eine ähnliche Situation oder andere Dilemmata erlebt? Schildern Sie das ethische Problem – die Autoren prüfen den Fall und nehmen ihn gegebenenfalls in diese Reihe auf. Kontakt: Prof. Dr. Ralf Vollmuth vollmuth@ak-ethik.de Alle bisher erschienenen Fälle finden Sie auf zm-online.de. Schildern Sie Ihr Dilemma! A UFRUF Porträt: privat 42 Zahnmedizin
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