Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 109, Nr. 6, 16.3.2019, (560) Mundgesundheit bei Kleinkindern – Von Starfightern, Softies und Phantasievollen \ Zum „Interview mit Dr. Wolfgang Eßer zur Neufassung der FU-Richtlinie: Auch Kleinkinder müssen von der Entwicklung der Mundgesundheit profitieren!“, zm 4/2019, S. 92–93. Auch Kleinkinder müssen von der Entwicklung der Mundge- sundheit profitieren – über diese Forderung spricht Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstands der KZBV, in einem Interview in der zm 109 von Mitte Februar und erläutert dabei die Neu- fassung zur FU-Richtlinie. Ich unterschreibe als praktizie- rende Zahnärztin mit Schwer- punkt Kinderzahnheilkunde diese Forderung blind, barfuss und wenn es sein muss ‚zahnlos‘ – aber ich komme nicht umhin, anzumerken, dass diese neu er- kämpften Leistungen nur Früchte tragen werden, wenn wir als Zahnärzte die Eltern ernsthaft in die Pflicht nehmen. In meinen Augen reicht ein Miteinbeziehen nicht aus, so wie der Kollege Eßer das anspricht – natürlich gebe ich ihm im Grunde genommen Recht, aber ein ‚Miteinbeziehen’ hört sich nach einer freiwilligen Leistung an. Die Eltern sind aber die Hauptakteure – jeden Tag und jeden Abend! In der Praxis sehen wir die Kinder nur in zeit- lichen Intervallen, dagegen tra- gen die Erziehungsberechtigten die volle Verantwortung für die Mundgesundheit ihrer Kinder. Sie sind das ausführende Organ – wir Zahnärzte/innen können zwar kompetent, aber eben nur sporadisch aufklären und wich- tige Impulse geben. Wenn es um die Wertigkeit des Zähneputzens und somit der Mundhygiene innerhalb der Familie geht, dann setzten allein und einzig die Eltern die Standards. Das ist weniger ein Fakt als ein unum- stößlicher Erziehungsauftrag, den diejenigen auszuführen ha- ben, die sich für Nachwuchs ent- schieden haben. Und wenn wir schon mal datenschutzkonform sein wollen, dann kann ich ruhig behaupten: Eltern sind quasi die Mundgesundheitsbeauftragten ihrer Kinder. Und wenn Sie, liebe Leser, jetzt etwas Interesse und Lesezeit haben, dann lassen Sie uns mal aus zahnärztlicher Sicht diese Spezies Eltern unter die Lupe nehmen. Sie alle kennen den Begriff der ‚Helikopter-Eltern‘ – die Eltern, die ihre Kinder über- wachen und vom Leben abschir- men, weil sie das Beste für ihren Nachwuchs wollen. Die Gesell- schaft hat das oft genug be- lächelt – wie sich jetzt heraus- stellt zu Unrecht, denn Forscher haben herausgefunden, dass diese Kinder statistisch gesehen tatsächlich erfolgreicher im weiteren Leben sind. Eigentlich kommt mir das irgendwie logisch vor, denn diese Eltern beschäfti- gen sich mit ihren Kindern über- durchschnittlich viel und ver- bringen dadurch mehr Zeit mit den Kindern als mit eigenen Hobbys – der Nachwuchs profi- tiert davon im Rahmen einer qualifizierten und durchaus liebevollen Förderung. Natürlich gibt es da graduelle Unterschiede – heute spricht man bereits von ‚Starfighter-Eltern‘. Da ich bei Google keine Erläuterungen zu diesem Phänomen finden konnte (außer Geschichten um echte Kampfflieger), habe ich diverse Eltern in meiner Sprechstunde unter die Lupe genommen. Für mich zählen diejenigen zu den Starfightern, die zwar gerne ihre Brut überbehüten, aber dennoch meist weitsichtig und konsequent handeln. Ihnen ist durchaus bewusst, dass Kinder Verantwortung und Selbst- ständigkeit erlernen sollten, um später zielstrebig, ehrgeizig oder leistungsorientiert zu handeln. Aber was hat das alles denn mit der kindlichen Mundhygiene zu tun, fragen Sie sich jetzt. Nun, ich kann immer wieder feststellen, dass auch diese Starfighter im häuslichen Umfeld einknicken. Dann ähneln sie eher kleinen Propellermaschinchen mit Motor- schaden: Wenn der kleine Ra- bauke am Abend weder ins Bett will, geschweige denn Zähne- putzen, und im Affentempo mit Kriegsgeheul durch die Woh- nung saust, dann fühlt sich so eine Kampfmaschine oftmals überfordert und einfach nur all- tagsmüde. Wichtiger erscheint dann das Bestreben, gut im Fuß- ballverein zu sein – viele Eltern verbringen am Wochenende ganze Tage auf dem Sportplatz, um die Leistung der Sprösslinge zu verfolgen, sind aber abends genervt und lustlos, wenn es ums Zähneputzen geht („Schaaatz!?!? Machst du das?!?!?). Und die Softies unter ihnen wollen ihr Kind auf gar keinen Fall in der fröhlich-lebhaften Entwicklung behindern, geschweige denn durchsetzungsorientiert an- packen und ins Badezimmer bugsieren. Sie geben beim kleinsten Widerstand des Kindes auf, statt Motivationsideen zu entwickeln. Da lob ich mir die Phantasievollen, die mit Zahn- putzliedern, Geschichten, Bilder- büchern oder Deals ankommen, und dabei nicht aus den Augen verlieren, dass Erziehung oft ein Kombipaket aus Motivation und Konsequenz ist. Kinder brauchen Rituale – aber Kinder wollen auch begeistert werden. Und wenn man einen Sinn für Kinder hat, dann schafft man es, beides zu kombinieren. Und wenn man schlau ist, dann gestaltet man den Abend ohne digitale Medien, die ja bekanntlich eine Hyperaktivität bei Kindern för- dern. Dann ist nicht nur das Zähneputzen ein Highlight, son- dern auch das anschließende Lesen und gemeinsame Kuscheln im Bett vor dem Einschlafen. Deshalb plädiere ich hiermit lautstark für mehr Geduld, Zeit und Gelassenheit aller Eltern von Kleinkindern und wünsche allen die Erkenntnis, dass gesunde Zähne wichtiger sind als das Erlernen einer Fremdsprache in der Kita. Dr. Ruth Struck, Bergisch Gladbach Foto: AdobeStock - evasilschenko 10 Leserforum

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=