Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06
zm 109, Nr. 6, 16.3.2019, (598) Bindslev et al., 2003; Schwendicke et al., 2014]. 2. Indikation Das Eindringen von Mikroorganismen sowie deren Stoffwechselprodukten setzt einen Reiz, der zur Entstehung einer Entzündungs- reaktion in der Pulpa führt. Vermittelt über Zellrezeptoren auf Odontoblasten, dendri- tischen Zellen und Pulpafibroblasten wird die Immunantwort initiiert. Dabei kommt es initial zur Hyperämie, die entstehende Ent- zündungsreaktion ist durch eine Abnahme der Zellzahl, ein Abflachen der Odontoblasten sowie das Einwandern von Lymphozyten und Plasmazellen charakterisiert [Ricucci et al., 2014b]. Klinisch korreliert damit zunächst die Ausbildung einer reversiblen Pulpitis, bei der davon ausgegangen wird, dass eine Ausheilung des Gewebes durch das therapeutische Eingreifen ermöglicht werden kann. Bei fortdauerndem Reiz sind in der Folge Bakterien im Pulpakavum nachweisbar, es kommt zu Mikroabszessen und Gewebsnekrosen, die von polymorph- kernigen neutrophilen Granulozyten ge- säumt sind, in der Peripherie finden sich ent- zündliche Infiltrate [Ricucci et al., 2014b]. Dieses Stadium wird als irreversible Pulpitis bezeichnet. Für die reversible Pulpitis sprechen ein positiver Sensibilitätstest sowie ein reiz- gebundener Schmerz. Eine irreversible Pul- pitis wird diagnostiziert bei (verstärkt) posi- tiver Sensibilitätsprobe, bei ausstrahlendem, reizüberdauerndem Schmerz oder Dauer- schmerz, Schmerz auf Wärme und mög- licherweise unzureichender Lokalisierbarkeit des schmerzauslösenden Zahns von Seiten des Patienten. Irreversible Pulpitiden kön- nen jedoch auch asymptomatisch verlaufen [American Association of Endodontists, 2015]. Vitalerhaltende Maßnahmen sind nur indiziert, wenn klinisch die Diagnose der reversiblen Pulpitis gestellt wird. Nach derzeitiger Lehrmeinung kann im Fall der irreversiblen Pulpitis eine Ausheilung des Gewebes nach Entfernung des auslösenden Reizes nicht vorhersagbar erreicht werden, weshalb die Diagnose „irreversible Pulpitis“ das Einleiten der Wurzelkanalbehandlung bedingt. Obgleich es Hinweise darauf gibt, dass die oben beschriebenen histologischen Beobachtungen gut mit der klinischen Diagnosestellung korrelieren [Ricucci et al., 2014b], soll hier erwähnt werden, dass die klinische Einteilung des Beschwerdebildes wenig über die Regenerationsfähigkeit des Gewebes aussagt. Sie erleichtert lediglich dem Behandler den Therapieentscheid, da er schematisch vorgehen kann. Das Diagnose- und Therapieschema über den Zustand der Pulpa und die ableitbare Therapie werden aber zunehmend infrage gestellt. Daher befindet sich die Indikationsstellung zur Pulpotomie bei irreversibler Pulpitis derzeit im Fluss und wird in klinischen Studien untersucht. Vitalerhaltende Maßnahmen können nur dann erfolgreich verlaufen, wenn eine Infektion der Pulpa während und nach der Therapie ausgeschlossen werden kann. Nach derzeiti- gem Kenntnisstand sollen vitalerhaltende Maßnahmen nur an Zähnen durchgeführt werden, die keine ausgeprägte Schmerz- symptomatik aufweisen (reversible Pulpitis). Vitalerhaltende Maßnahmen sollen oder können nicht durchgeführt werden bei feh- lender Reaktion auf die Sensibilitätsprobe (hierbei muss der Pulpastatus nach Eröffnung des Pulpakavums verifiziert werden), bei Klopf- beziehungsweise Aufbissempfindlich- keit, bei Spontan- oder Dauerschmerz, so- wie bei radiologischen Anzeichen für eine periapikale Osteolyse. Des Weiteren sind Ausschlusskriterien nach Eröffnung des Kavums eine starke, nicht zu stoppende Blu- tung oder der Austritt serösen oder putriden Exsudates sowie bei nekrotischem, nicht mehr durchblutetem Gewebe. Ausgeschlos- sen werden sollten Zähne, bei denen ein bakteriendichter Verschluss aufgrund einge- schränkter Restaurierbarkeit nicht gewähr- leistet ist. Um eine Infektion des exponierten Pulpagewebes während oder nach der Überkappung auszuschließen, müssen wei- tere Voraussetzungen erfüllt sein, dazu ge- hören die Verwendung steriler Instrumente, das Legen von Kofferdam, die vollständige Exkavation der Karies sowie die Möglichkeit zum sofortigen und definitiven bakterien- dichten Verschluss. Sind diese Voraussetzun- gen nicht alle zweifelsfrei erfüllt, sollte einer Wurzelkanalbehandlung (oder der Extraktion) der Vorzug gegeben werden. Günstige Voraussetzungen für die Vital- erhaltung sind bei einer jungen Pulpa ohne Vorschädigung gegeben [Wang et al., 2017]. Mit zunehmendem Alter ist mit einer redu- zierten Regenerationsfähigkeit durch Pulpa- veränderungen im Sinne einer zellärmeren und faserreicheren Pulpa zu rechnen [Goodis et al., 2012; Murray et al., 2002]. Trotzdem scheint das Patientenalter nur eine unter- geordnete Rolle in im Hinblick auf den Behandlungserfolg zu spielen [Asgary et al., 2015; Cvek, 1978; Cvek et al., 1983; de Blanco, 1996; Fuks et al., 1982; Kang et al., 2017; Kunert et al., 2015; Linsuwanont et al., 2017; Mente et al., 2010; Taha et al., 2017]. Gleiches gilt für Faktoren wie Zahn- position sowie Größe oder Lage der Pulpa- freilegung [Dammaschke et al., 2010]. Generell ist anzumerken, dass die in der Lite- ratur angegebenen Erfolgsraten vitalerhal- tender Maßnahmen stark variieren, insbe- sondere bei der direkten Überkappung nach Kariesexkavation. Frühe klinische Misserfolge (innerhalb von Tagen oder Wochen) sind multifaktoriell, korrelieren jedoch sicherlich mit unsachgemäßer Diagnostik des Pulpa- status. Diese kann im Unterschätzen des Entzündungsstatus der Pulpa resultieren, wodurch sich irreversible Pulpitis und Pulpa- nekrose entwickeln können, was zu post- operativen Schmerzen führen kann. \ Die Indikation zum Vitalerhalt ist derzeit nur nach der Diagnosestellung „reversible Pulpitis“ gegeben. Die klinische Einteilung des Beschwerdebildes sagt jedoch wenig über die Regenerationsfähigkeit des Gewebes aus. Faktoren wie Patientenalter, Zahnposition sowie Größe oder Lage der Pulpafreilegung scheinen im Hinblick auf den Behandlungserfolg eine untergeordnete Rolle zu spielen. 3. Indirekte Überkappung Im deutschen Sprachgebrauch bezeichnet die indirekte Überkappung die medikamen- töse Versorgung einer dünnen, pulpanah verbliebenen Schicht kariesfreien Dentins [Schäfer et al., 2000]. Klinisch entsteht diese 48 Vitalerhaltung der Pulpa
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