Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 109, Nr. 6, 16.3.2019, (600) Situation zumeist bei der Exkavation einer profunden Karies, so dass die indirekte Überkappung auch Caries-profunda-Be- handlung genannt wird. In der englisch- sprachigen Literatur ist der Begriff „indirect pulp capping“ etwas anders definiert, näm- lich als die dauerhafte Überkappung einer dünnen, pulpanahen, kariös veränderten Dentinschicht, ohne dass die Karies in einer zweiten Sitzung vollständig exkaviert wird [Babbush, 2008; European Society of Endo- dontology, 2006]. Weil über dem vitalen Pulpagewebe nur eine minimale Dentin- schicht verbleibt, besteht die Gefahr, dass es über die Dentintubuli zu einer irreversiblen Entzündung der Pulpa kommt: einerseits durch verbliebene oder bereits in das Gewebe eingedrungene Mikroorganismen, anderer- seits durch zytotoxische Bestandteile aus den Füllungsmaterialien, die durch das dünne Restdentin diffundieren können. Mit einem Überkappungsmaterial sollte das pulpanahe Dentin desinfiziert und bakteriendicht ver- siegelt sowie die Pulpa zur Bildung von Tertiärdentin angeregt werden [Ricucci et al., 2014a]. Diese Form des Tertiärdentins bezeichnet man auch als Reaktions- oder Reizdentin. Reaktionsdentin wird definitions- gemäß durch überlebende postmitotische primäre Odontoblasten gebildet [Smith, 2012]. Die indirekte Überkappung dient so- mit dem Schutz der vitalen Pulpa vor allem nach Kariesentfernung. Besteht im Vorfeld bereits eine reversible Pulpitis, sollten durch die indirekte Überkappung die Vorausset- zungen für eine Pulpaheilung geschaffen werden. Trotz nachvollziehbarer Gründe, die für eine gesonderte Versorgung des pulpa- nahen Dentins im Sinne der direkten Über- kappung sprechen, soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass ein Beleg für diese Maßnahme durch klinische Studien derzeit fehlt [Buchalla et al., 2017]. Auch eine indirekte Überkappung sollte nach Möglichkeit unter kontrollierter Trockenlegung mit Kofferdam erfolgen. Zur Vermeidung einer Keimverschleppung emp- fiehlt es sich, die klinische Krone vor der Ex- kavation mit Natriumhypochlorit (NaOCl; 1–5 Prozent) oder Chlorhexidindigluconat (CHX; 2 Prozent) zu desinfizieren. Mikroorganismen und somit jeder sich in Richtung Pulpa ausbreitende kariöse Prozess stellen eine Gefährdung der Pulpa dar [Ricucci et al., 2013]. Daher sollte während der Kariesexkavation die Anzahl an Mikro- organismen in der Kavität und in Pulpanähe soweit möglich reduziert werden. Die Frage, wie viel verändertes Dentin belassen werden kann, um noch eine Ausheilung der Pulpa zu ermöglichen, ist derzeit nicht eindeutig geklärt [Buchalla et al., 2017]. Nach erfolgter Exkavation ist die Kavität mit NaOCl oder CHX und Wasserspray zu reinigen [Bogen et al., 2008; Cao et al., 2016]. Eine Schädigung des vitalen Pulpa- gewebes bei Anwendung von NaOCl muss nicht befürchtet werden [Rosenfeld et al., 1978]. Materialien für die indirekte Über- kappung sollten möglicherweise pulpanah verbliebene Mikroorganismen abtöten, das durch den kariösen Defekt saure Gewebe neutralisieren, Dentin remineralisieren so- wie die Pulpa zur Tertiärdentinbildung an- regen [Maeglin, 1955]. Klassischerweise wird dafür seit den 1930er Jahren Kalzium- hydroxid empfohlen [Hermann, 1928]. Auf- grund der Nachteile von wässrigen Kalzium- hydroxidsuspensionen ist heutzutage die Verwendung von hydraulischen Kalzium- silikatzementen auch bei der indirekten Überkappung möglicherweise die bessere Alternative [Akhlaghi et al., 2015]. Eine defi- nitive adhäsive Füllung sollte bei jeder Art von Überkappungsmaterial in der gleichen Sitzung erfolgen. Nach indirekter Über- kappung kann eine Reizdentinbildung er- folgen, je nach Schädigungsgrad der Odontoblasten kommt es jedoch wahr- scheinlicher zur Reparatur und zur Deposi- tion einer atubulären Mineralstruktur. Reiz- und Reparaturdentin können histologisch auch nebeneinander vorgefunden werden [Ricucci et al., 2014a]. \ Das Überkappungsmaterial bei indi- rekter Überkappung desinfiziert, regt die Bildung von Tertiärdentin an und schützt die Pulpa vor toxischen Komponenten eines nachfolgend aufgetragenen Dentin- adhäsivs. Direkte Überkappung Die direkte Überkappung ist definiert als Abdeckung der freiliegenden Pulpa. Ursäch- lich können Karies, präparatorische Maß- nahmen oder traumatische Exposition sein. Die Indikationsstellung ist bei der Diagnose- stellung „reversible Pulpitis“ gegeben. Nach klinischem und gegebenenfalls radio- logischem Befund wird der Zahn mit Kofferdam isoliert und die klinische Krone desinfiziert. Es ist auf die Verwendung eines sterilen Instrumentariums zu achten. Die vollständige Kariesexkavation wird mit lang- sam rotierenden Rosenbohrern und Hand- instrumenten von peripher nach zentral, idealerweise unter Verwendung optischer Vergrößerungshilfen (Lupenbrille, Mikro- skop), durchgeführt. Zur Blutstillung und Desinfektion empfiehlt sich ein mit NaOCl getränktes Wattepellet. Anschließend erfolgt die Applikation einer Kalziumhydroxid- Suspension oder eines hydraulischen Kalziumsilikatzements auf die eröffnete Pulpa sowie das umgebende Dentin, wobei ein ausreichend breiter Dentinsaum für die adhäsive Restauration frei bleiben muss. Um ein ungewolltes Entfernen des Über- kappungsmaterials beim Kavitätenver- schluss zu vermeiden, empfiehlt sich das Überschichten mit einem erhärtenden Präparat. Anschließend sollte das Dentin zur Minimierung negativer Einflüsse der Desinfektionslösung auf den adhäsiven Ver- bund gründlich mit Wasser abgesprüht werden. Der definitive adhäsive Verschluss sollte in der gleichen Sitzung erfolgen. Da die Exposition der Pulpa mit dem Unter- gang der ortsständigen Odontoblasten einhergeht, ist die durch die Überkappung induzierte Hartgewebsbildung ein Reparatur- prozess, bei dem meist ein von Fibroblasten gebildetes, amorphes Mineralisationsgewebe entsteht [Ricucci et al., 2014a ]. \ Bei der direkten Überkappung wird das Überkappungsmaterial auf die expo- nierte Pulpa aufgetragen. Es empfiehlt sich, Vergrößerungshilfen, ein steriles Instrumentarium und Natriumhypochlorit zur Blutstillung zu verwenden. 50 Vitalerhaltung der Pulpa

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