Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06
zm 109, Nr. 6, 16.3.2019, (601) 5. Pulpotomie Die Pulpotomie (Pulpaamputation) ist eine Therapiemethode zur Vitalerhaltung der Pulpa nach artifizieller Eröffnung der Kronenpulpa (iatrogen, traumatisch). Dabei wird die Kronenpulpa teilweise (partielle Pulpotomie) oder bis zum Wurzelkanal- eingang (vollständige beziehungsweise zervikale Pulpotomie) amputiert und nach erfolgreicher Blutstillung analog zum Vor- gehen bei der direkten Überkappung ver- sorgt [American Association of Endodontists, 2015; Krastl et al., 2014]. 5.1. Partielle Pulpotomie Bei der partiellen Pulpotomie wird die Kronenpulpa von der exponierten Stelle ausgehend um circa 2 mm reduziert, um potenziell entzündete und irreversibel ge- schädigte Pulpaanteile zu entfernen und die Restpulpa vital zu erhalten [Bimstein et al., 2016]. Die partielle Pulpotomie wird vor- zugsweise mit einem kleinen Präparations- diamanten durchgeführt [Granath et al., 1971]. Dabei werden die koronalen 2 mm der Pulpa hochtourig, idealerweise unter kontinuierlicher Spülung mit physiologi- scher Kochsalzlösung entfernt [European Society of Endodontology, 2006]. Aus Gründen der Praktikabilität wird die Pulpa- amputation allerdings häufig unter Wasser- kühlung mit einem Winkelstück durchge- führt [Fong et al., 2002]. Ob bei der Ver- wendung korrekt aufbereiteter Winkel- stücke Nachteile im Sinne einer geringeren Erfolgssicherheit zu erwarten sind, ist nicht belegt. Wie bei der direkten Überkappung wird bei der partiellen Pulpotomie die Spülung der Amputationsstelle mit NaOCl empfohlen bis die Blutung sistiert. Sofern die Entstehung eines Blutkoagulums verhindert wird, sind die gleichen Reparaturmechanismen der Pulpa wie bei der direkten Überkappung zu erwarten [Cohenca et al., 2013; Cvek et al., 1983]. Ist die verbliebene Pulpa gesund, ist mit einem Sistieren der Blutung innerhalb von fünf Minuten zu rechnen. Gelingt die Blutstillung nicht innerhalb dieser Zeit, wird dies als Hinweis gewertet, dass die Pulpa nicht bis auf ein gesundes Niveau reduziert wurde. In diesen Fall kann eine vollständige Pulpotomie, also die Entfernung der gesamten Kronenpulpa, als letztmögliche vitalerhaltende Maßnahme in Erwägung gezogen werden [Krastl et al., 2014]. Auf die artifiziell freigelegte Pulpaoberfläche wird eine Kalziumhydroxid-Suspension oder ein hydraulischer Kalziumsilikatzement auf- gebracht und lokal mit einem erhärtenden Material dünn überschichtet [Cohenca et al., 2013]. Da bei der partiellen Pulpotomie das Überkappungsmaterial in größerer Menge als bei der direkten Überkappung verwendet wird, wäre bei Verwendung hydraulischer Kalziumsilikatzemente auch das Risiko der Zahnverfärbung als höher ein- zustufen [Krastl et al., 2014]. Die bakterien- dichte Restauration schließt sich an. 5.2. Vollständige Pulpotomie Bei der vollständigen Pulpotomie wird die komplette Kronenpulpa entfernt und die zu erhaltende Wurzelpulpa anschließend auf Höhe der Kanaleingänge überkappt. Das weitere Vorgehen erfolgt analog zur partiellen Pulpo- tomie. Eine bakteriendichte definitive Restau- ration schließt sich an [Krastl et al., 2014]. \ Bei der partiellen Pulpotomie werden circa 2 mm des Pulpagewebes mittels Diamant- schleifer und Wasserkühlung entfernt, bei der vollständigen Pulpotomie wird die Pulpa bis zum Eingang des Wurzelkanals abge- tragen. Die Blutung sollte nach Spülung mit Natriumhypochlorit innerhalb von 5 min sis- tieren. Die Applikation des Überkappungs- materials erfolgt analog zur direkten Über- kappung. 6. Überkappungsmaterialien 6.1. Kalziumhydroxid-haltige Präparate Als Überkappungsmaterial wird Kalzium- hydroxid auch heutzutage noch vielfach verwendet. In wässriger Suspension weist es einen hohen pH-Wert auf, es wirkt bakterizid, kann bakterielle Säuren sowie Lipopoly- saccharide im Dentin neutralisieren und führt zudem zur Freisetzung von im Dentin gebundenen Wachstumsfaktoren [Graham et al., 2006]. Kalziumhydroxid unterstützt so- mit die Hartgewebsbildung und Ausheilung der Pulpa [Duque et al., 2006; Smith et al., 1995]. Nachteile sind in der mechanischen Instabilität sowie der Resorption des Materials über die Zeit [Barnes et al., 1979; Goracci et al., 1996] zu sehen. Auch werden nach Kal- ziumhydroxid-Applikation im Reparatur- dentin Porositäten („Tunneldefekte“) beob- achtet, die als Eintrittspforten für Mikro- organismen dienen können [Cox et al., 1996a]. Der hohe pH-Wert wässriger Kalzium- hydroxid-Suspensionen führt in direktem Gewebekontakt zur Liquidationsnekrose [Staehle, 1990]. Kalziumhydroxid sollte nur kleinflächig im Bereich der Pulpafreilegung beziehungsweise im pulpanahen Bereich der Kavität aufgetragen werden [Barnes et al., 1979; Staehle, 1990; Staehle, 1998]. Kalzium- hydroxid in wässriger Suspension ist vor anderen Kalziumhydroxid-Kombinationen (Kalziumsalicylatester-Zemente, Liner oder Kitte) der Vorzug zu geben. Diese weisen eine wesentlich geringere Freisetzung von Hydroxyl-Ionen auf [Staehle et al., 1988], eine kontinuierliche Desintegration unter der Hauptfüllung [Barnes et al., 1979], sie indu- zieren eine langsamere und weniger dichte Hartgewebsbildung [Phaneuf et al., 1968] und einige Zusätze, die die Erhärtung des Materials bedingen, wirken möglicherweise pulpatoxisch [Liard-Dumtschin et al., 1984]. Auch neuere, lichthärtende Liner und Zemente mit Kalziumhydroxid- beziehungsweise MTA- Zusatz (Produktbeispiele: Ultrablend Plus, Ultradent, South Jordan, USA; Calcimol LC, VOCO, Cuxhaven oder TheraCal LC, Bisco, Schaumburg, USA) sind kritisch zu sehen. Den Produkten fehlt die spezifische, Bioaktivität auslösende Kalziumhydroxidwirkung [Camilleri et al., 2014; Subramaniam et al., 2006]. Ein- deutig nachgewiesen ist eine Zytotoxizität dieser Produkte, die auf den Monomeranteil zurückzuführen ist [Hebling et al., 2009]. Nach derzeitiger Datenlage ist von einer Überkappung der Pulpa mit lichtpolymeri- sierbaren Kalziumhydroxid- oder Kalzium- silikat-haltigen Materialien abzuraten. 6.2. Dentinadhäsive und Komposite Zwischenzeitlich wurde die Verwendung von Dentinadhäsiven als Überkappungsmateria- lien propagiert [Cox et al., 1998; Cox et al. 1987; Cox et al., 1996b], dem Gedanken folgend, dass der bakteriendichte Verschluss 51
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