Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 109, Nr. 8, 16.4.2019, (821) landweit keine gültige Leitlinie gab, die zahnärztliche Aspekte eingebunden hatte und Zahnärzten Unterstützung geben konnte. Der folgende Beitrag greift die Rolle des Zahnarztes im Rahmen der Kinderschutz- Leitlinie heraus. Die dort aufgelisteten Erläu- terungen und Handlungsempfehlungen be- sitzen eine direkte Relevanz für die tägliche Praxis. Sie geben Hinweise, wie (dentale) Vernachlässigung bei Kindern und Jugend- lichen erkannt werden kann. Die Hinweise sollen zu einem besseren Verständnis der Verantwortung der Zahnärzte im Kinder- schutz beitragen. Die Botschaft: Der Zahnarzt steht nicht alleine da. Er und sein Team sind nicht verantwortlich, wenn es darum geht, die Diagnose Misshandlung oder Vernachlässi- gung zu stellen. Der gesetzliche Auftrag zur Einschätzung der Kindeswohlgefährdung liegt beim Jugendamt – und letztlich ent- scheidet ein Gericht. Der Zahnarzt selbst sollte die von ihm eingeleiteten Schritte aber sauber und lückenlos dokumentieren. pr Die Langfassung der Kinderschutzleitlinie finden Sie auf der Webseite der AWMF. Die Kinderschutzleitlinie M EHR AUF ZM - ONLINE Betroffen sind über 45.000 Kinder! K INDESWOHLGEFÄHRDUNG IN D EUTSCHLAND Eine Kindeswohlgefährdung liegt vor, wenn eine erhebliche Schädigung des körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls des Kindes droht oder bereits besteht. Erhält das Jugendamt Kennt- nis davon, muss es im Rahmen seines Schutzauftrags Gefährdungsrisiko und Hilfebedarf unter Beteiligung verschie- dener Fachkräfte abschätzen (§ 8a SGB VIII). \ Kindeswohlgefährdung Definition Das Besondere an der Kinderschutz- Leitlinie ist: Neben Medizinern und Zahnmedizinern waren auch nicht- medizinische Akteure (Pädagogen und die Jugendhilfe) eingebunden. Auf- grund der gesellschaftlichen und poli- tischen Bedeutung des Themas hielten die Initiatoren eine multiprofessionelle Zusammenarbeit für wichtig. 134 Empfehlungen wurden insgesamt kon- sentiert und formuliert. Ziel: Die opti- male Zusammenarbeit aller Partner im Kinderschutz. Dazu gehören Ärzte, Zahnärzte, Kinderärzte, Frühe Hilfen, Klinken, Jugendämter, Jugendhilfeein- richtungen, Sozialarbeit, Polizei, Psy- chotherapie, Schulen, Gerichte und weitere Einrichtungen. Altersmäßig umfasst ist das Spektrum von der Schwangerschaft und Geburt bis zum 18. Lebensjahr. \ Kooperation aller Partner erforderlich Vernachlässigung, Misshandlung, sexua- lisierte beziehungsweise häusliche Ge- walt: Das Wohl von über 45.000 Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist be- droht. Zahnärzte sollten die Anzeichen in ihrem Bereich kennen, denn orale Verlet- zungen können bei fehlender oder zwei- felhafter Anamnese ein Anzeichen von körperlicher Misshandlung sein. Ein Blick auf die Zahlen. 2017 wurden durch die Jugendämter in Deutschland rund 143.300 Verfahren zur Einschätzung der Gefährdung des Kin- deswohls durchgeführt – laut Statisti- schem Bundesamt 4,6 Prozent mehr als im Vorjahr. Davon wurden rund 21.700 eindeutig als Kindeswohlgefährdungen („akute Kindeswohlgefährdung“) identi- fiziert, bei knapp 24.100 konnte dies nicht ausgeschlossen werden („latente Kindeswohlgefährdung“). In rund 48.900 weiteren Fällen kamen die Fach- kräfte des Jugendamts zu dem Ergebnis, dass zwar keine Kindeswohlgefährdung, aber weiterer Hilfe- oder Unterstützungs- bedarf vorlag. In fast ebenso vielen Fällen (48.600) wurde weder eine Kindeswohl- gefährdung noch weiterer Hilfebedarf festgestellt. Über 60 Prozent der rund 45.800 Kinder, deren Wohl akut oder latent bedroht war, wiesen Anzeichen von Vernachlässigung auf. Knapp 30 Prozent dieser Kinder zeig- ten Anzeichen für psychische Misshand- lungen – wie beispielsweise Demütigun- gen, Einschüchterung, Isolierung und emotionale Kälte. Etwas seltener (26 Pro- zent) gab es Anzeichen für körperliche Misshandlung. Anzeichen für sexuelle Gewalt wurden bei 4,5 Prozent festge- stellt*. Verfahren zur Gefährdungseinschätzung wurden ungefähr gleich häufig für Jun- gen und Mädchen durchgeführt. Klein- kinder waren jedoch besonders betrof- fen: Fast jedes vierte Kind hatte das dritte Lebensjahr noch nicht vollendet. Ein Fünftel der Drei- bis Fünfjährigen war be- troffen, gut ein Fünftel der Fälle waren Kinder im Grundschulalter. Mit zuneh- mendem Alter nehmen die Gefährdungs- einschätzungen wieder ab: Kinder im Al- ter von 10 bis 13 Jahren hatten einen An- teil von 19,3 Prozent an den Verfahren, Jugendliche von 14 bis 17 Jahren einen Anteil von 15,7 Prozent. Am häufigsten machten Polizei, Gericht oder Staatsanwaltschaft das Jugendamt auf eine mögliche Kindeswohlgefähr- dung aufmerksam, und zwar bei 23,4 Prozent der Verfahren. Bei 13,5 Prozent kamen die Hinweise von Schulen oder Kindertageseinrichtungen, bei 11,2 Pro- zent waren es Bekannte oder Nachbarn. Gut jeden zehnten Hinweis erhielten die Jugendämter anonym. ck *Mehrfachnennungen waren hierbei möglich. 15

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