Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 109, Nr. 8, 16.4.2019, (852) Okklusionsschienen gehören zum Standard- repertoire der zahnärztlichen Maßnahmen zur Behandlung von schmerzhaften kranio- mandibulären Dysfunktionen (sCMD) [Schindler, Nilges et al., 2013]; nicht zuletzt wegen der Vorstellung, dass die Okklusion und die räumliche Konfiguration der Kiefer- gelenke eine übergeordnete Rolle bei der Entstehung von schmerzhaften Funktions- störungen spielen könnten. Nach dieser bis heute weit verbreiteten Meinung soll eine ideale Okklusion und Kieferposition, die im Rahmen einer Schienentherapie gefunden wird, eine heilende Wirkung entfalten. Eine Therapie, die dieser Hypothese folgt, endet definitionsgemäß in einer vollständigen Res- taurierung aller Zähne des Ober- und des Unterkiefers in der neuen, therapeutischen Kieferrelation – was nach aktuellemWissens- stand kritisch hinterfragt werden sollte. Der vorliegende Beitrag erläutert die Be- deutung der Schienentherapie, indem er die aktuellen Vorstellungen der Physiologie von Kaumuskulatur und Kiefergelenken erörtert und die pathophysiologischen Hintergründe der sCMD rekapituliert. Die Kenntnis dieser Grundlagen ermöglicht in der Folge ein Verständnis der Wirkung von Schienen und von alternativen Therapiemöglichkeiten und „entzaubert“ vor diesem Hintergrund die Wirkung diverser meinungsbasierter Therapiemodelle bei sCMD. Der Rückenschmerz im Gesicht Neben den Odontalgien ist die sCMD eine der häufigsten Gründe für das Aufsuchen des Zahnarztes. Circa 75 Prozent der Patien- ten mit sCMD leiden unter myofaszialen Schmerzen der Kaumuskulatur, während bei der weiteren Patientenpopulation entweder isolierte Gelenkschmerzen oder Kombi- nationen aus Muskel- und Kiefergelenk- schmerzen vorliegen. Frauen sind etwa vier- mal häufiger betroffen. Kaumuskelschmerzen sind durch einen dumpf- drückenden, manchmal auch ziehenden Charakter gekennzeichnet und weisen eine geringe bis mittlere Intensität auf. In manchen Fällen ist die Bewegungskapazität des Unterkiefers eingeschränkt und Belas- tungen, zum Beispiel beim Kauen, aber auch die Palpation der betroffenen Mus- keln, verstärken die Symptome in der Regel. Häufig werden die Schmerzen auch in andere Regionen des Kopfes übertragen und dort dominant wahrgenommen [Schindler et al., 2007]. Kiefergelenkschmerzen bei Myo- arthropathie werden um das jeweils betrof- fene Gelenk wahrgenommen. Die Leit- symptome sind der dumpfe, oft pochende Schmerz bei Ruhe und/oder Bewegung sowie die schmerzhafte Palpation der peri- artikulären Gewebe [Hugger et al., 2007]. Da Gelenke zu den tiefen somatischen Struk- turen zählen, zeigen auch die Kiefergelenke eine für diese Gewebe typische Schmerz- charakteristik. Insbesondere im Rahmen von Zahnärztliche Therapie bei schmerzhafter CMD Abschied von der Wunderschiene Daniel Hellmann, Hans J. Schindler Kiefer- und Gesichtsschmerzen zählen zu den häufigsten Gründen für den Gang zum Zahnarzt. Für eine erfolgreiche Behandlung schmerzhafter kraniomandibulärer Dysfunktionen sind in der Regel keine invasiven und irreversiblen Maßnahmen not- wendig. Zeitlich begrenzte Interventionen wie die Schienentherapie und die Physio- therapie beziehungsweise Selbstmanagement liefern vergleichbar gute Ergebnisse. Abbildung 1: Konfiguration des Diskus als Ursache möglicher Distanzvariationen zwischen Fossa und Kondylus: Ausmaß der Rotation des Kondylus um die Scharnierachse bei 4 mm frontaler Öffnung circa 2 bis 4 Grad. Grafik: Tine Ade / Hans J. Schindler 46 Zahnmedizin

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