Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 109, Nr. 8, 16.4.2019, (857) eines aktiven Eigenübungsprogramms als generelles Therapieziel festgeschrieben wurde. Trainings und Therapien Aktive Eigenübungen Studien konnten zweifelsfrei belegen, dass bei muskulären Beschwerden des kranio- mandibulären Systems Heimübungen gleichwertige therapeutische Effekte be- wirken wie etwa das nächtliche Tragen von Okklusionsschienen [Medlicott et al., 2006]. Ebenso ist aus dem klinischen Alltag be- kannt, dass sich mit den fast in Vergessen- heit geratenen Übungen nach Schulte [Schulte, 1981], die den Patienten aktiv mit der Durchführung von Bewegungsübungen in die Therapie mit einbinden, gute thera- peutische Ergebnisse erzielen lassen. Aktuelle Studien konnten darüber hinaus zeigen, dass sich das kraniomandibuläre System und die Kiefermuskulatur insbesondere durch koordinative Übungen außerordent- lich effektiv trainieren lässt [Hellmann et al., 2011; Kumar et al., 2015; Iida et al., 2015]. Als Folge eines solchen Trainings kommt es zu anhaltenden, die jeweilige Trainings- einheit überdauernden Veränderungen der muskulären Funktionsmuster, begleitet von strukturellen Modifikationen spezifischer kortikaler Regionen [Taubert et al., 2010; Sehm et al., 2014]. Die durch das Training bewirkten intramuskulären motorischen Adaptationen scheinen dabei eine wesent- liche Rolle im Rahmen einer erfolgreichen Muskelschmerztherapie zu spielen [Schindler, Türp et al., 2013; Hodges, 2011]. Okklusionsschienentherapie Die aktuell am besten gestützte Hypothese zu den therapeutischen Effekten von Okklu- sionsschienen bietet – sowohl für die Mus- kulatur als auch für die Kiefergelenke – die Neuorganisation inter- und intramuskulärer sowie intraartikulärer Funktionsmuster (Ab- bildung 3). Diese ermöglicht die Entlastung lädierter motorischer Einheiten und Gelenk- strukturen [Türp et al., 2003]. Für die intra- muskuläre funktionelle Neuorganisation nach experimenteller Lageveränderung des Unterkiefers gibt es eine Reihe von Belegen [Schindler et al., 2005; Van Eijden et al., 1993; Terebesi et al., 2016]. Gleiches gilt für die Veränderung intraartikulärer Funktions- wege und für die Positionsänderung der Kondylen nach Inkorporation von Standard- schienen [Ettlin et al., 2008]. Motorische Schmerzadaptationen und therapierelevante neuromuskuläre Effekte in anderen Körper- segmenten werden aktuell in vergleichbarer Weise interpretiert [Hodges, 2011]. Neuromuskuläre „Trainingseffekte“ nach temporärer Intervention Die Tatsache, dass zeitlich begrenzte Inter- ventionen wie Schienentherapie und Phy- siotherapie/Selbstmanagement vergleich- bar gute Ergebnisse liefern [van der Glas et al., 2000; Durham et al., 2016] wie eine sys- tematische Einschleiftherapie von Zähnen, belegt, dass in der Regel für eine erfolg- reiche Behandlung keine irreversiblen Maß- nahmen notwendig sind. Interessanterweise überdauern die therapeutischen Wirkungen die zeitlich begrenzte Tragezeit der Schienen oder die kurzfristigen Übungsphasen im Rahmen einer Physiotherapie. Dieses Phä- nomen ist durch die langanhaltende neuro- muskuläre Adaptation im Sinne einer Re- organisation motorischer muskulärer Funk- tionsmuster auf der Basis der exzellent Abbildung 4: Beispiele myofunktioneller Übungen – aktives Öffnen beziehungsweise aktive Laterotrusion gegen Widerstand Fotos: Daniel Hellmann Abbildung 5: Darstellung der Funktion des RehaBite®: Wird auf die elastische Aufbissgabel eine Kraft ausgeübt, wird über eine hydrostatische Mechanik eine haptische Feedbackkontrolle aus dem Gehäuse ausgetrieben. Grafik: Dentrade Köln 51

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