Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 08

zm 109, Nr. 8, 16.4.2019, (858) entwickelten plastischen Eigenschaften der Kaumuskulatur zu erklären, wie sie insbe- sondere nach kurzzeitigem Training der Kiefer- und Zungenmuskulatur beobachtet werden konnten [Hellmann et al., 2011; Svensson et al., 2006]. Darüber hinaus er- klärt diese Eigenschaft auch die vergleich- baren Wirkungen solcher Maßnahmen, die Einfluss auf das motorische Verhalten neh- men, wie Selbstübungen, Physiotherapie oder nur den Gaumen bedeckende „Placebo“- Schienen [Türp et al., 2010]. Studien im Be- reich der Körpermuskulatur, die den Einfluss von motorischem Training auf Bewegungs- parameter von Gesunden und Patienten untersuchten, belegen diesen Sachverhalt ebenfalls. Sogar passive Bewegungen kön- nen solche länger anhaltenden motorischen Adaptationen durch kortikale Reorganisatio- nen auslösen. Die therapeutische Wirkung von Vermeidungsmustern im Sinne motorischer Anpassungen an Schmerzen folgt ebenfalls diesem Prinzip [Hodges, 2011]. Empfohlene Ergänzung der Schienentherapie Eigenübungen der Patienten Wie bereits erwähnt, ist die Verschreibung von Physiotherapie mit dem Ziel des Er- lernens eines Eigenübungsprogramms ver- bunden. Neben der vom Therapeuten empfangenen Therapie soll der Patient zur aktiven Mitarbeit motiviert werden. Einmal erlernt, können die Übungen bei wieder- kehrenden Beschwerden erneut angewendet, aber auch zur Rezidivprophylaxe genutzt werden. Die Ziele sind die Behandlung der verspannten Muskelareale mithilfe von Selbst- massage sowie die Auflösung eventueller koordinativer Defizite bei der Kieferbewegung durch gezieltes Training bestimmter Muskel- gruppen [Schulte, 1981] (Abbildung 4). Sensomotorisches Training mit dem RehaBite® Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass mit- hilfe des sensomotorischen Trainings mit dem Trainingsgerät RehaBite® (Dentrade, Köln) (Abbildungen 5 und 6) eine mit der Okklusionsschienentherapie gleichwertige Schmerzreduktion erreicht werden kann [Giannakopoulos et al., 2018]. Die Wirkung von sensomotorischem Training im Allge- meinen resultiert aus einer Verbesserung der neuromuskulären Ansteuerung und einer damit verbundenen Optimierung der Bewe- gungs- und Haltungskontrolle. Dies wird durch eine verstärkte Beanspruchung senso- rischer Feedbacksysteme und die Stimulation zentralnervöser Integrationsprozesse erreicht [Steib, 2014]. Sehr wahrscheinlich kommen hierbei zu den bereits oben beschriebenen anhaltenden, die jeweilige Trainingseinheit überdauernden Veränderungen der intra- und intermuskulären Funktionsmuster allem Anschein nach strukturelle Modifikationen spezifischer kortikaler Regionen [Taubert et al., 2010; Sehm et al., 2014]. Bei Patienten mit Muskelschmerzen kann das Training zu- sätzlich eine bewegungsinduzierte Hypo- algesie (exercise induced hypoalgesia), das heißt eine Reduktion der Schmerzempfind- lichkeit, bewirken [Koltyn et al., 2014]. Fazit für die Praxis Die Therapie der sCMD basiert nicht auf der Einstellung einer idealen Verzahnung oder Kieferposition, sondern auf der Wirkung langanhaltender und die jeweilige thera- peutische Intervention überdauernder inter- und intramuskulärer sowie intraartikulärer Funktionsmusteränderungen. Aus diesem Grund sind invasive okklusale therapeutische Modelle kritisch zu hinterfragen. Bei einer Chronifizierung der Schmerzen, die durch aus- geprägte psychosoziale Beeinträchtigungen, das heißt durch dysfunktionalen Schmerz, gekennzeichnet ist, zeigen die hier darge- stellten Therapieoptionen in der Regel jedoch nur eingeschränkte Wirksamkeit. PD Dr. med. dent. Daniel Hellmann Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik Universitätsklinikum Würzburg Pleicherwall 2 97070 Würzburg Hellmann_D@ukw.de Prof. Dr. med. dent. Hans J. Schindler Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik Universitätsklinikum Würzburg Pleicherwall 2 97070 Würzburg und Karlsruher Institut für Technologie Forschungsgruppe Biomechanik Institut für Mechanik, Gebäude 10.30 Otto-Ammann-Platz 9, 76131 Karlsruhe Wir danken dem Quintessenz Verlag für die freundliche Genehmigung zum Abdruck der Grafiken/Abbildungen 1, 2, 4 und 6. Abbildung 6: Die elastische Beißgabel wird zwischen den Seitenzähnen positioniert und der Zeigefinger der haltenden Hand an die Öffnung der hydrostatischen Mechanik positioniert. Foto: Daniel Hellmann Beide Porträts: privat Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 52 Zahnmedizin

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