Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09

zm 109, Nr. 9, 1.5.2019, (10) TI – „Warum hast Du Dich denn nicht gewehrt, Papa?“ \ Zum Beitrag „Telematikinfrastruktur: Wer jetzt nicht bestellt ...“, zm 6/2019 S. 24–28. Das erste Quartal 2019 ist zu Ende und damit ein Ultimatum der Regierung, bei Nichtbefolgen des Anschlusses der eigenen Kas- senpraxis an die sog. Telematik- infrastruktur mit einemHonorar- abzug von 1% der Einkünfte bestraft zu werden. Der sich laut Regierung seither entwickelte „freie Markt“ der Anbieter über- bietet sich in der Zusendung von Rechenbeispielen, wie man bei Vertragsabschluss mit der jeweiligen Firma noch einmal mit einem blauen Auge davon- kommt und zusätzlichen Kosten entgehen kann, denen man in Form von Zuschussentzug ins Auge sehen muss, sofern man sich mit seinen Überlegungen noch etwas Zeit lassen will. Ein anderes Ultimatum ist auch verstrichen: das der Ingang- setzung einer Gegenwehr durch die Standesvertretungen der Zahnärzte. Sie hat einfach nicht stattgefunden. Das Resultat: Statt offener Diskussion in der Gesell- schaft und kühlem Abwägen entsteht ein rein über die wirt- schaftlichen Aspekte ausgeübter Druck auf die gesamte Kollegen- schaft. Zeit also, sich einmal auf die Grundgedanken zurückzubesinnen, die mich als Mensch in dieser Gesellschaft durch die Erfahrun- gen meiner Kindheit, Jugend und Erwachsenenzeit zu jemandem gemacht haben, der Dank glücklicher Umstände in einem freien Land ohne Krieg und Unterdrückung groß geworden ist. Ein Privileg, das ich kostenlos genieße und für das ich dem Schöpfer dieser Welt unendlich dankbar sein darf. Alle Werte, die sich in dieser Zeit in mir geformt haben, bestimmen meine Wahr- nehmung und mein Handeln in allen Lebensbereichen. Ob nun ein in Frieden und Freiheit auf- gewachsener Mensch die Fähig- keit hat, seine Ansichten in schriftlicher Form aufzuschreiben ist unterschiedlich ausgeprägt. Was wir aber alle als Kinder ge- lernt haben und unseren Kindern weitergeben ist ein Gefühl für Gut und Böse, für Richtig und Falsch, für Gerecht und Ungerecht. Die Gesellschaft wird von jedem von uns mitgestaltet und ist für ein erfolgreiches Zusammenleben angewiesen auf eine Vielzahl von Individuen, die ein Gerechtigkeits- empfinden erlernt haben oder auch nur in sich spüren – sofern sie es nicht sprachlich erklären können, wie Menschen, die eine Bildung erlebt haben. Die Umbrüche in einer Welt, die sich zunehmend digitaler Rechen- prozesse bedient, sind mannig- faltig und schwer vorauszuplanen. Fortschritt muss immer unter Er- halt bereits erworbener Errun- genschaften zugelassen werden, sonst ist es ein Rückschritt unter Anwendung moderner Mittel. Dieses Prinzip wird in Artikel 30 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen untermauert: „keine Bestimmung dieser Erklärung darf dahingehend ausgelegt werden, dass sie für einen Staat, eine Gruppe oder eine Person irgend- ein Recht begründet, eine Tätig- keit auszuüben oder eine Hand- lung zu begehen, welche die Be- seitigung der in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freihei- ten zum Ziel hat.“ Artikel 30 be- zieht sich auf die zuvor genannten Menschenrechte; unter anderen das Recht auf Leben, Freiheit und Sicherheit der Person (Art. 3), das Recht auf die Freiheitssphäre des Einzelnen (Art. 12), das Recht auf Gedankenfreiheit (Art. 18), das Recht auf Meinungsfreiheit (Art. 19), das Recht auf Wohlfahrt (Art. 25), und in den Grund- pflichten (Art. 29) die Beschrän- kung der eigenen Rechte auf ein Maß, das immerhin noch die Rechte und Freiheiten anderer sichert und den gerechten Anforderun- gen, der Moral, der öffentlichen Ordnung und des allgemeinen Wohls in einer demokratischen Gesellschaft genügt. Die Entstehung des Grundgeset- zes aus der leidvollen Erfahrung einer Diktatur in diesem Land, in dem die Gesellschaft einer Ideo- logie gehorsam Folge zu leisten hatte, ist nur eine logische Kon- sequenz für freie und befreite Menschen, die von nun an – nach 1945 – ihr eigenes Gewissen als entscheidendes Korrektiv bei der Erstellung und Befolgung neuer Gesetze walten lassen wollten. Demzufolge enthält das Grund- gesetz eine Ewigkeitsklausel, um einen Missbrauch der Verfassung für die Zukunft unmöglich zu machen. Unser politisches System ist also an moralische, ethische Grundwerte gebunden, die auch mit rechtsstaatlichen Mitteln verteidigt werden können. Ein Abschaffen dieser Werte muss ja nicht immer von außen durch Umsturz angestrebt werden, sondern kann ja auch vom mög- licherweise irrenden Gesetzgeber selbst verursacht werden. Hier gilt es, als Zahnärzteschaft geschlossen die Politik in ihre Grenzen zurückzuweisen. Wenn ich nun einen Abstecher in meine persönlichen Beobach- tungen der gesellschaftlichen Entwicklung mache, dann dient dies der Erläuterung meiner Bedenken, sich an eine sog. „Telematik-Infrastruktur“ unge- prüft anzuschließen bzw. sich dazu erpressen zu lassen. Hier einige Fälle, die mich nachdenk- lich stimmen: - Vorige Woche erhob ich die Anamnese bei einer Patientin, der ein Medtronic-Herzschrittmacher implantiert wurde, der mit einer fehlerhaften Software ausgestat- tet ist (www.bfarm.de: Produkt- rückruf Zweikammerherzschritt- macher Medtronic – Referenz: FA 857). Die Patientin hatte zwei- mal seither lebensbedrohliche Rhythmusstörungen durch Fehl- funktionen des Geräts. Ein neues Software-Update ist für die zweite Jahreshälfte 2019 angekündigt, allein in der Zwischenzeit seien die Kardiologen laut Patientin ratlos, wie ihr zu helfen sei. - Anderes Beispiel: Passagierflug- zeug Boeing 737 Max. Nach zwei Flugzeugabstürzen mit 346 Toten stehen alle Modelle am Boden. Grund: Softwaremängel! - Nächstes Beispiel: Cyberangriff auf die Software des St.-Lukas- Krankenhauses 2016 in Neuss. 15% der Operationen fanden währenddessen nicht statt. - Und vor meiner Praxis: Seit Ab- schalten der analogen Telefon- leitung und erpresstem Umstel- len auf internetbasiertes Voice- over-IP-Telefonieren langsames Internet mit sich wiederholendem Totalausfall trotz (oder wegen ...) neuemGlasfaser-Knotenpunkt in der 400 Meter entfernten ...straße, in der es vorletzte Woche einen unterirdischen Kabelbrand an einem 100-jährigen Elektrokabel gleich gegenüber vom Glasfaser- Knotenpunkt gab. Der entstan- dene Rauch drang unterirdisch 10 Leserforum

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