Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 09

zm 109, Nr. 9, 1.5.2019, (74) Eine 77-jährige Patientin stellte sich zur Weiterbehandlung eines alio loco, nicht in sano resezierten Adnexkarzinoms im Be- reich der Oberlippe links bei initial voraus- gegangenem fälschlichem Verdacht eines Atheroms in unserer Ambulanz vor (Abbil- dung 1). Fremdhistologisch (Abbildung 2) ergab sich ein allseits randbildendes, die Perineuralscheide infiltrierendes, mikro- zystisches Adnexkarzinom (MAK) mit der Tumorformel: pT1, L0, V0, Pn1, R1 (UICC, 8. Auflage). Anamnestisch berichtete die Patientin in der präoperativen Zeit über ein gelegentliches Brennen ohne Sensibilitätsstörungen im betroffenen Oberlippenareal. Bis auf eine medikamentös eingestellte arterielle Hyper- tonie war die Patientin sonst anamnestisch nicht weiter erkrankt. Das anschließende Tumorstaging (Kopf/ Hals-CT und Thorax-CT jeweils mit Kon- trastmittel, Sono Abdomen, HNO-Spiegel- Untersuchung und Ösophago-Gastro-Duo- denoskopie) ließ außer dem radiologischen Befund einer 5 mm x 10 mm durchmessen- den Kontrastmittel-aufnehmenden Raum- forderung im Bereich der Oberlippe links (Abbildung 3) keine weiteren Auffälligkeiten erkennen. In Intubationsnarkose erfolgte die radikale Tumorresektion mit Sicherheitsabstand im Bereich der Oberlippe unter Belassung des Lippenrots und der Schleimhaut sowie die beidseitige selektive, funktionelle Neck- Dissection der Level I bis III. Die Resektion wurde entsprechend an die ästhetischen Bereiche der Oberlippe angepasst. Die Funktion des kontinuitätsresezierten M. or- bikularis oris wurde mit einem Interponat der Palmarissehne im Sinne einer Über- brückungsplastik wiederhergestellt und der Hautdefekt mit einem mikrovaskulär- reanastomosierten fasziokutanen Radialis- transplantat rekonstruiert. Die abschließende Histologie ergab die In-sano-Resektion des MAK ohne nachweis- baren Lymphknotenbefall [pT1, pN0 (0/29), L0, V0, Pn1, G2, R0 (UICC, 8. Auflage)] mit einem zirkulären Sicherheitsabstand von 11 mm und zur Tiefe von 6 mm. Bei sanatio per primam intentionem konnten wir die Patientin am achten post- operativen Tag in die ambulante Nachsorge entlassen. Die Situation 2 Monate und 14 Monate postoperativ dokumentieren die Abbildungen 4 und 5. Diskussion Das MAK (engl.: microcystic adnexal carci- noma), synonym auch als sklerosierendes Schweißdrüsengangkarzinom bezeichnet, wurde erstmalig im Jahr 1982 von Goldstein et al. beschrieben [Goldstein et al., 1982]. Mit einer Häufigkeit von gerade einmal 0,005 Prozent aller malignen epithelialen Neoplasien handelt es sich hierbei um einen äußerst seltenen, zumeist gut differenzier- ten, bösartigen Hauttumor aus der Gruppe der Schweißdrüsenkarzinome. Dessen Ur- sprung kann sowohl in den Haarfollikeln als auch in den ekkrinen Schweißdrüsen liegen. Das lokal aggressiv und langsam wachsende MAK befällt bevorzugt das Gesicht. Zu den Prädilektionsstellen gehören dabei, wie unser Fall demonstriert, die Ober- und die Unter- lippe sowie die Nasolabialfalten. Neben dem Gesicht können auch die Achselhöhle und die Brust betroffen sein. Unabhängig vom Geschlecht tritt es vorwiegend zwischen der vierten und der siebten Lebensdekade auf [Futran et al., 1992; Rustemeyer et al., 2013; Chen et al., 2016]. Der geringe Bekanntheitsgrad des MAK, seine klinisch unauffälligen Eigenschaften und das histologisch benigne anmutende Bild führen häufig zu Fehldiagnosen. Dies erklärt zusammen mit der schwierigen MKG-Chirurgie Adnexkarzinom der Oberlippe Felix Paulßen von Beck, Petra Jasker, Thomas Mücke Dieser Fall dokumentiert die radikale Resektion eines Adnexkarzinoms aus der Oberlippe mit anschließender Oberlippenrekonstruktion mit einem Radialis- transplantat. Die Patientin vor (l.) und nach der Behandlung Foto: Felix Paulßen von Beck 74 Zahnmedizin

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