Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 109, Nr. 10, 16.5.2019, (1072) CMD – Deshalb kann es Wunderschienen gar nicht geben \ Zum Beitrag „Zahnärztliche Therapie bei schmerzhafter CMD: Abschied von der Wunderschiene“, zm 8/2019, S. 46–52. Den Autoren muss großer Dank ausgesprochen werden für diesen unermesslich wichtigen und klarstellenden Beitrag. Die Verfasser erheben dringend notwendigen Widerspruch gegen einen drama- tisch zunehmenden Missbrauch angeblich moderner Funktions- therapie, in dessen Folge viel zu oft die natürlichen Zahnreihen unserer Patienten ohne annähernd ausreichende Indikation ver- stümmelt werden. Als seit bald 40 Jahren prothetisch tätiger Zahnarzt, der in seinem Studium die Lehren von Schulte noch verinnerlichen durfte, kam der Unterzeichner noch nie auf die Idee, die unter muskulären, psycho-sozial gesteuerten Überbelastungen leidenden Zahnreihen und Kiefergelenke als Auslöser dieser Problematik zu verkennen. Als Gutachter für mehrere deutsche Krankenversicherungen, die bun- desweit täglich zig Kostenvoranschläge für angeblich funktionell indizierte dentale Maximalversorgungen von ihren verunsicherten Kunden zugeleitet bekommen, weiß der Unterzeichner, wie groß die teils umsatzorientierten Defizite in der Zahnärzteschaft sind. Tatsächlich können nur die wenigen Behandlungsplanungen vollständiger okklusaler Rekonstruktionen befürwortet werden, bei denen die Indikation durch den weitgehenden Verlust der Ok- klusal- und Vertikalbeziehungen als Folge weit fortgeschrittenen Hartsubstanzabtrags gegeben ist. Der Beitrag entlarvt gleichzeitig und notwendigerweise die Er- finder verschiedener „Spezialschienen“, die leidenden Patienten zu völlig überzogenen Preisen angeblich diagnostisch-ursächliche Therapiekonzepte wie den weltweit einzigen Stein der Weisen anpreisen. Zugrunde liegt zumeist ein rein mechanistischer Ansatz einer idealisierten Kiefergelenk-Okklusionsbeziehung, der dem Laien Glauben macht, dass jeder Schädel einer genormten Reiß- brettstudie gehorchen müsse und nur die Umstellung auf diese „Norm“ die Beschwerden heilen könne. Die Variabilität aller an der Kau-funktion beteiligten harten und weichen Strukturen und die innermuskulären wie innerartikulären Anpassungsmechanismen und deren Trainierbarkeit, auf die die Autoren hinweisen, werden bei diesen „Wunderschienen“ vollkommen außer Acht gelassen oder als minimalinvasive, aber bereits effektive Maßnahmen be- wusst ignoriert. Ebenfalls werden durch den Beitrag alle diejenigen Zahnärzte belehrt, die immer noch annehmen, dass eine habituelle Ab- weichung des Kondylus von der „Zentrik des Kiefergelenks“ bereits indikationsgebend für eine umfassende Änderung der mandibulär- maxillären Relation sei. Eine näherungsweise Bestimmung der atraumatischen Kondylenposition ist allein bei umfangreicheren prothetischen Rekonstruktionen erforderlich, wenn die verbliebe- nen Restzähne eine sichere habituelle Kieferrelationsbestimmung nicht mehr ermöglichen. Auch die aufwendigsten elektronischen Messverfahren können nicht darüber hinwegtäuschen, dass eine sicher reproduzierbare bzw. therapeutisch relevante „Zentrik“ weder in der Natur noch am Individuum existiert. KeinMesssystem ist daher in der Lage, eine verlässliche Aussage über das Maß und die Richtung einer Kieferrelationsänderung zu treffen. Vielmehr ist die sich lebenslang stetig verändernde Morphologie und Funktion des Kauorgans, wie alle anderen Bereiche des Bewe- gungsapparats auch, ständigen Adaptations- und Kompensations- mechanismen unterworfen. Jeder die habituelle Kieferrelation ver- ändernde irreversible prothetische Eingriff stört nicht nur das cranio-mandibuläre Teilsystem, sondern immer das cranio-sakrale Gesamtsystem empfindlich, sodass dadurch stets ein erhebliches iatrogenes Risiko der Überforderung der neuro-muskulären Kom- pensationsmechanismen besteht. Dieses Risiko, das rein zahnärztlich zudem überhaupt nicht ein- schätzbar ist, gilt es zu vermeiden. Der Beitrag hilft insofern hoffentlich dabei, die verstärkte enge Zusammenarbeit von Zahn- ärzten mit Physiotherapeuten bzw. Osteopathen zu fördern, an- statt in blinder Fixierung auf das eigene Fachgebiet naturgesunde Zahnhartsubstanzen mit allen denkbaren funktionellen Folge- problemen unphysiologisch harter Ersatzmaterialien irreversibel zu vernichten. Dr. Eberhard Riedel, Niedergelassener Zahnarzt, München CMD – Aufbissbehelfe nach dem Zufallsprinzip \ Zum Beitrag „Zahnärztliche Therapie bei schmerzhafter CMD: Abschied von der Wunderschiene“ , zm 8/2019, S. 46–52. Die beiden Einzigen, die sich in diesem Beitrag entzaubern, sind die beiden Autoren. Den Abschied von der Wunder- schiene kann es schon deshalb nicht geben, weil es „die“ Wunderschiene nur in der Vorstellung der Autoren gibt. Die Wahrheit ist hingegen weit profaner und wenig schmeichelhaft für die uni- versitären Verfasser. Bis heute ist es weder den Lehranstalten noch den Fachgesellschaften gelungen, die genauen Krite- rien zu definieren, nach denen Okklusion zu justieren ist. Das, was überall gang und gäbe ist, exakte Behandlungsroutinen nach vorgegebenen, reprodu- zierbaren Werten, wird von der anerkannten Lehrmeinung als nicht beachtenswert ver- worfen. Dabei ist es bei Patien- ten mit einer nachgewiesenen, okklusionsinduzierten funktio- nellen Erkrankung des Kau- organs, noch mehr als bei funktionsgesunden Patienten diagnose- und therapieent- scheidend, in welcher Bisslage und mit welchen Toleranz- werten Okklusion auf Aufbiss- behelfen und nachfolgend im Mund des Patienten eingestellt wird. Es ist bezeichnend, wenn sich zwei Autoren hinstellen und so tun, als sei das, was in spezialisierten, niedergelas- senen Praxen seit Jahrzehnten 10 Leserforum

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