Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10

zm 109, Nr. 10, 16.5.2019, (1080) Höher, schneller, weiter – im Jahr 2019 kann die Zahnmedizin technisch und therapeutisch mehr als je zuvor. Und doch sehen wir immer wieder, dass sich Fortschritt nicht automatisch in Patientennutzen um- setzt. Maximal-Zahnmedizin kann optimal für den Patienten sein, muss aber nicht! Der alte Satz, nach dem „aufwendig“ und „teuer“ immer auch „besser“ bedeutet, war ohnehin in dieser Kausalität nie richtig, wird aber heute durch die steigende Zahl an Behand- lungsoptionen, über die die Zahnmedizin verfügt, neu zur Disposition gestellt. In der zm wollen wir darüber diskutieren. Wohl kaum einem Bereich der Zahmedizin ist in der letzten Dekade so viel Aufmerksamkeit zuteil gewor- den wie der Implantologie. Durch einen weitgehend digitalen Workflow mit 3-D-Planung und geführter Implantation können Eingriffe heute vorhersagbarer und sicherer durchgeführt werden. Das ist nicht zu- letzt auf die Initiative der Dentalindustrie zurückzu- führen, die in der zunehmenden Verbreitung der Ver- sorgung mit Implantaten Wachstumschancen sieht. Im Gefolge dieser zunächst positiven Entwicklung ent- steht jedoch das imageträchtige Bild einer Hightech- Zahnmedizin, die die herkömmlichen und weit weniger schillernden Behandlungsalternativen in der (fach)öffentlichen Wahrnehmung allmählich in den Hintergrund drängt. Dagegen regt sich nun Wider- spruch. Auf den folgenden Seiten finden Sie einen Beitrag von Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle, Heidel- berg, der sich mit „frugalen“ Interventionen in der Zahnmedizin auseinandersetzt und für die Stärkung einer „Lowtech-Dentistry“ plädiert. Es sei „nicht sach- gerecht, Hightech-lastigen „Premium“-Interventionen per se immer die höchsten Qualitätsstandards und die höchsten Outcome-Werte zuzuordnen.“ Im Ge- genteil, die Situation könne sich sogar umdrehen. Neben der rein medizinischen Betrachtung spielen in dieses Thema natürlich auch wirtschaftliche Aspekte hinein. Hightech ist „Premium“ und generiert damit entsprechende Umsätze. Im Lichte der Tatsache, dass sich seit geraumer Zeit Konzentrationsprozesse in der zahnärztlichen Versorgung vollziehen und Dentalket- ten in Deutschland auf dem Vormarsch sind, gewinnt eine Diskussion über die Rolle von Hightech in der Zahnmedizin zusätzlich an Bedeutung. Anfang dieses Jahres hatte die Kassenzahnärztliche Bundesvereini- gung (KZBV) eine Analyse des Abrechnungsverhaltens von Z-MVZ gegenüber Einzelpraxen und BAG vorge- legt. Ergebnis: Beim Zahnersatz liegen die Honorare in den MVZ „um rund 35 Prozent oberhalb der Durchschnittswerte in Einzelpraxen.“ Die Unterschiede in den Abrechnungsdaten „lassen insgesamt auf eine verstärkte Orientierung hin zu kostenintensiveren Be- handlungen und hiermit verbunden besonders ge- winnversprechenden Leistungen in MVZ schließen“, schreibt die KZBV in ihrer Analyse. Das TSVG hat den Aktionsradius der Dentalketten zwar eingegrenzt, nichtsdestotrotz werden weiterhin Investoren auf den Dentalmarkt drängen, die für ihre Investitionen eine Rendite auf das eingesetzte Kapital sehen wol- len. Hier wachsen Versorgungsstrukturen heran, die a priori durch das Geschäftsmodell Maximal- versorgungen zulasten minimalinvasiver Behand- lungsoptionen fördern. Wenn von den Vorteilen einer „Lowtech-Dentistry“ die Rede ist, werden auch die Krankenkassen ge- nau hinhören – warum teures Hightech bezahlen, wenn auch weniger geht. Aber es geht bei dieser Diskussion nicht eindimensional um monetäre Aspekte und um die Frage von Einsparmöglich- keiten, sondern um die im Sinne des Patienten bestmögliche zahnmedizinische Versorgung. Es ist ein primär zahnmedizinischer Diskurs, der bei der Erörterung der verschiedenen Behandlungs- optionen erst einmal die Schonung der oralen Gewebe, der natürlichen Zahnsubstanz im Sinn hat und unter Berücksichtigung der jeweils Patienten-individuellen Gegebenheiten einen minimalinvasiven Ansatz in den Vordergrund rückt. Zu den Dogmen der GKV gehört die Auffassung, den Versicherten die gesamte Palette medizinisch sinnvoller Interventionen zur Verfügung zu stellen. Dass dieser Vollversorgungsanspruch in der Zahn- medizin nicht einlösbar ist, zeigen die zahlreichen Limitationen im GKV-System und das weite Feld von Zuzahlungen, Mehrkostenvereinbarungen und Privatleistungen. Zu den Abwehrstrategien der Kassen gehört die mittlerweile etablierte Praxis, öffentlichkeitswirksam sinnvolle medizinische Leis- tungen als nicht evidenzbasiert zu diskreditieren und sich als Patientenschützer gegen zahnärztliche „Abzocke“ zu profilieren. Es gibt sicher mannigfaltige Möglichkeiten, einen fachlich-zahnmedizinischen Diskurs um High- und Lowtech-Dentistry misszuverstehen und für gesund- heitspolitische Zwecke zu instrumentalisieren. Doch das sollte uns nicht daran hindern, im Lichte eines durch den Fortschritt erheblich erweiterten Behandlungsspektrums über die für den Patienten bestmögliche zahnmedizinische Versorgung nach- zudenken. br Maximal? Frugal? Optimal? Was ist gute zahnmedizinische Versorgung? 18 Zahnmedizin

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=