Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 10
zm 109, Nr. 10, 16.5.2019, (1092) Abbildung 6: Direkter Lückenschluss (Zahnverbreiterungs-Technik) im Seitenzahnbereich a) und b) Zahnlücke regio 15 bei einer 58-jährigen Patientin, c) und d) Lückenschluss durch Verbreiterung der Zähne 14 und 16 mittels adhäsiv eingebrachtem Komposit, e) bis h) Kontrolle nach 15 Jahren (Patientin ist jetzt 73 Jahre alt): reizlose Verhältnisse (Detailbeschreibungen siehe [Staehle, 2009, 2012 und 2014; Staehle et al., 2015]) e f g h Wenn man die die Zahnmedizin betreffen- den direkten und indirekten Werbeaktivitä- ten von Industrieunternehmen beobachtet, fällt auf, dass zwei Bereiche dominieren und zwar nicht nur im Hinblick auf PR- Maßnahmen aller Art für die Profession, sondern auch für die Bevölkerung. Zum einen handelt es sich um umfangreiche Aktivitäten zur Steigerung von Implantat- versorgungen, zum anderen um die Ver- kaufsausweitung elektrischer Zahnbürsten. In beiden Fällen wird oftmals der High- tech-Charakter herausgestrichen. Unter be- stimmten Versuchsbedingungen schneiden elektrische Zahnbürsten zwar etwas besser ab als Handzahnbürsten. Sichtet man aller- dings die Literatur genauer, ist man gut be- raten, mit der Interpretation vorsichtig zu sein. Ganß schrieb dazu in einer aktuellen Übersichtsarbeit zum Thema „Zähneputzen – Mythen und Wahrheiten“: „Die Überlegen- heit elektrischer Bürsten gegenüber Hand- zahnbürsten konnte bislang nicht nachge- wiesen werden“ [Ganß, 2016]. Bedenklich erscheint es, wenn Hersteller elektrischer Zahnbürsten suggerieren, man könne mit diesen Hilfsmitteln die Interdentalräume suffizient reinigen. Dies ist nämlich nicht ganz korrekt. Viele Menschen benötigen besondere zusätzliche Hilfsmittel zur Inter- dentalraumhygiene, wobei individuelle In- struktions- und Trainingsmaßnahmen un- abdingbar sind. Da diese oftmals nicht in Anspruch genommen werden (können), verwundert es kaum, dass sich hier Effekte kaum aussagekräftig messen lassen. Wenn beispielsweise ein Patient mit tiefen Zahnfleischtaschen Interdentalraumbürsten anwendet, die ohne nennenswerten Wider- stand die Zahnzwischenräume passieren, kann man nicht erwarten, dass ihm dies zu einem großen Nutzen für die Zahngesund- heit verhilft. Dies betrifft auch Implantat- träger [Staehle et al., 2016]. In Abbildung 7 ist ein Patient gezeigt, der trotz Parodontal- behandlung und regelmäßiger Reinigung mit einer – zu dünnen – Interdentalraum- bürste hohe Sondierungstiefen und Bluten nach Sondieren aufwies. Erst nach Umstel- lung auf eine größere Interdentalraumbürste mit längeren Seitenborsten und einem ge- nügend hohen Passagewiderstand durch den Interdentalraum wurde der Taschen- fundus mit den Borsten besser erreicht und es kam zu einem deutlichen Entzündungs- rückgang. Eine zahnmedizinisch sinnvolle frugale In- tervention für viele Menschen wäre, ihnen eine Handzahnbürste zu empfehlen und dies bedarfsgerecht durch geeignete Inter- dentalraumbürsten zu ergänzen. Dies wäre in manchen Fällen wesentlich besser, als jemanden durch die alleinige Empfehlung einer elektrischen Hightech-Zahnbürste in einer falschen Sicherheit zu belassen und auf Interdentalraumbürsten zu verzichten. Allerdings muss man einräumen, dass der- zeit Interdentalraumbürsten relativ teuer und verschleißanfällig sind und dass das oft sehr unübersichtliche und unvollständige Produktangebot nicht den tatsächlichen Erfordernissen genügt. Insofern besteht hier auch von Herstellerseite Handlungsbedarf. Abschließende Überlegungen Wie die aufgezeigten Beispiele zeigen, ist es nicht sachgerecht, Hightech-lastigen „Premium“-Interventionen per se immer die höchsten Qualitätsstandards und die höchsten Outcome-Werte zuzuordnen. Im Einzelfall kann sich die Situation sogar um- drehen, so dass eine frugale Intervention einer sehr umfangreichen und aufwendigen Versorgung vorzuziehen ist. (Zahn)medizinische Eingriffe haben bekannt- lich unterschiedliche Gewinnmargen. Der Umstand, dass zurzeit Hightech-Verfahren (beispielsweise mit Einsatz von Implantaten) sehr großes Interesse finden, könnte nicht nur dem (zahn)medizinischen Nutzen ge- schuldet sein, sondern unter anderem auch damit zusammenhängen, dass dort höhere Gewinnmargen als in anderen Bereichen er- wartet werden. Eine gute zahnmedizinische Versorgung muss jedoch nicht automatisch und ausschließlich über Hightech-Verfahren erfolgen. Man kann durchaus in vielen Fällen auch mit Lowtech-Verfahren und frugalen Interventionen zu einem beachtenswerten Erfolg kommen. Dazu bedarf es jedoch auch ausgewogener Forschungsanstrengungen und deren an- gemessener Vermittlung. Wenn man ver- gleicht, wie viele Mittel in den vergangenen Jahren in die implantologische Forschung, Fortbildung und Vermarktung geflossen sind und wie wenig für die Entwicklung von Implantat-Alternativen getan wurde, dann wird (zumindest was konservierende Inter- ventionen angeht) ein krasses Missverhältnis deutlich. In der Forschung ist die selektive Evidenzproduktion überdeutlich. Evidenz sollte aber nicht nur dort, wo es sich ökono- misch lohnt, produziert werden, sondern auch dort, wo medizinische Vorteile zu er- warten sind. Es gibt bekanntlich in fast allen klinischen Situationen Behandlungsalternativen. Eine a b c d e f g h 30 Zahnmedizin
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=