Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 109, Nr. 11, 1.6.2019, (1290) Patienten über den fehlenden Nutzen und mögliche Risiken aufzuklären. Diese seien ei- nerseits den fehlenden oder unwirksamen Zusätzen und andererseits der Bedenklich- keit der Inhaltsstoffe geschuldet. Die Resul- tate stünden damit im Widerspruch zum Marketing der Hersteller, die ausdrücklich die natürlichen Inhaltsstoffe bewerben. Eini- ge der möglicherweise enthaltenen Substan- zen wie Bentonit-Ton oder polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe seien aller- dings keineswegs unbedenklich. Irreführendes Marketing Irreführend seien auch Werbeversprechen wie „Kariesschutz“ oder „Remineralisierung“ bei fluoridfreien Produkten. Aber auch fluoridhaltige kohlebasierte Zahnpasten sind den Forschern zufolge möglicherweise deutlich weniger wirksam – wegen der hohen Absorptionskapazität der Aktivkohle, die dazu führen könne, dass enthaltene Fluoride weniger verfügbar sind. In anderen Bereichen werde die hohe Absorptionskapazität der Aktivkohle dazu genutzt, Fluoride aus Trinkwasser zu extra- hieren, wenn der Gehalt zu hoch sei. Verbraucher hätten folglich bei alleinigem Gebrauch einer Aktivkohle-Zahnpasta ein potenziell deutlich erhöhtes Kariesrisiko im Vergleich zur Verwendung einer herkömm- lichen Zahnpasta mit gleichem Fluorid- gehalt. Den Konsumenten wird den Autoren zufolge durch ausgetüftelte Marketingstrategien ein Wirkungsspektrum suggeriert, das wissen- schaftlich nicht bewiesen sei. „Die Ethik eines solchen Ansatzes bei der Vermarktung gesundheitsbeeinflussender Produkte ist bestenfalls fragwürdig. Falsche und irre- führende Nachrichten sowie die selektive Bereitstellung von Informationen könnten als irreführende Praktiken eingestuft wer- den, die den Interessen und dem Schutz der Verbraucher zuwiderlaufen“, bilanzieren Greenwall et al. [2019]. Die meisten Produkte enthalten feines Aktiv- kohle-Pulver, das laut Greenwall et al. [2019] aus verschiedenen Carbon-reichen Substanzen gewonnen wird, zu denen außer Holz oder Kohle zum Beispiel auch Bambus oder Nussschalen gehören. Die Bandbreite an Substanzen ist demnach besonders pro- blematisch, weil keine einheitlichen Material- eigenschaften bestehen und somit der Ab- rasionsgrad häufig undefiniert bleibt. Einige untersuchte Pasten wiesen aber hohe ab- rasive Eigenschaften auf. Dies führte den Autoren zufolge bereits zu Fällen, in denen nach längerem Gebrauch oberflächliche Schmelzdefekte beobachtet werden konn- ten. Viele Patienten glaubten zudem, dass eine häufige Anwendung zu schnellerer Auf- hellung führt. Nach dem Motto „viel hilft viel“ könne aber ein exzessiver Gebrauch zu erheblichem Zahnhartsubstanzverlust oder zu Defekten in Restaurationen führen. Die Autoren betonen, dass nicht nur eine mög- licherweise fehlende Wirksamkeit, sondern auch eine potenzielle gesundheitliche Schä- digung bestehen kann. Das Marketingversprechen, eine Aktivkohle- haltige Zahnpasta habe antibakterielle und antiinflammatorische Eigenschaften, „kann die Verbraucher zu der Annahme veranlas- sen, dass die Verwendung solcher Zahnpas- ta-Produkte ein nachhaltiger Weg zur Vor- beugung oder möglicherweise sogar Be- handlung von Parodontalerkrankungen sein kann“. Greenwall et al. [2019] warnen an dieser Stelle ausdrücklich vor den Folgen dieses „opportunistischen Marketings“. „Eine der negativen Auswirkungen der Verwen- dung von Zahnpasta auf Holzkohlebasis durch Patienten mit etablierter Parodontal- erkrankung kann die Ansammlung von Holzkohlepartikeln tief in Parodontal- defekten und -taschen sein, was zu einer grauschwarzen Verfärbung des Parodontal- gewebes führt.“ Abrasion statt Bleaching Brooks et al. [2017] fanden bei 96 Prozent der untersuchten Produkte das Versprechen eines „Whitening effects“. Die damit sug- gerierte aufhellende Wirkung sei bei Aktiv- kohleprodukten allerdings vielmehr ein Ent- fernen von den Zähnen anhaftenden Verfär- bungen durch starke abrasive Komponen- ten. Somit liege keine bleichende Wirkung im Sinne der Veränderung der Zahnfarbe vor, sondern eine Reinigung von anhaften- den Belägen und dadurch erzeugten zahn- aufhellenden Effekten. Selbst bei einem Zusatz von „bleichenden Komponenten“ wäre die Verfügbarkeit, ähnlich wie bei Fluoriden, durch die hohe Absorptions- fähigkeit von der Aktivholzkohle mehr als fraglich, betonen Brooks et al. [2017]. Hier bestehe eine erneute Irreführung der Ver- braucher und ein potenzielles Risiko für die Zahnhartsubstanz. Die Anwendung der aktivkohlehaltigen Zahnpasta erfolgt analog zu einer her- kömmlichen Zahnpasta. Die entstehende graugrüne, schlammartige Masse könne sich allerdings im Sulkusbereich oder in den Zahnzwischenräumen sowie auf der Zunge ablagern. Folge sei dann eine insgesamt ver- längerte Zahnputzzeit, um die Rückstände vollständig zu entfernen. Besonders proble- matisch ist laut den Autoren die Ablagerung in parodontalen Taschen, schwer zugäng- lichen Nischen und Füllungsrändern im sichtbaren Bereich. Nur ein modisches Gimmick Greenwill et al. [2019] resümieren, dass Zahnpasta auf Holzkohlebasis aufgrund fehlender Evidenz lediglich als „modisches, marketingorientiertes Gimmick“ angesehen werden kann. Sollte der Hype um die Kohle zu einer erhöhten Aufmerksamkeit und zu einem steigenden Interesse an Mundhygiene- produkten führen, sei immerhin diese Folge begrüßenswert. Die Wissenschaftler fordern Zahnärzte, die von ihren Patienten auf Holzkohle-basierte Zahnpasten angesprochen werden, auf, dazu beizutragen, „das Interesse an diesen medial aufmerksamkeitsstarken Produkten auf den Kauf und die Verwendung von Mundhygieneprodukten zu lenken, die er- wiesenermaßen dazu beitragen, Mund- und Zahnerkrankungen zu verhindern und da- durch die Mundgesundheit zu verbessern“. nl Quelle: Greenwall LH, Greenwall-Cohen J, Wilson NH (2019). Charcoal-containing den- tifrices. British Dental Journal,226(9), 697. 100 zm–starter
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