Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11
zm 109, Nr. 11, 1.6.2019, (1202) Der besondere Fall – Röntgen nur nach individueller Entscheidung im Einzelfall \ Zum Beitrag „Der besondere Fall aus CIRSdent – Jeder Zahn zählt: Verwechselung eines Röntgenbildes“ zm 9/2019, S. 31–33 Erlauben Sie mir bitte eine kurze Anmerkung zu dem Artikel aus der Reihe „Der besondere Fall aus CIRSdent – Jeder Zahn zählt“. Eine hervorgehobene Aussage des Artikels bezüglich des Alters von Rönt- genbildern lautet: „Es empfiehlt sich, bei Behandlungen – insbeson- dere bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen –, für die Röntgenauf- nahmen notwendige Informationen darstellen, aktuelle Aufnahmen zu haben, die nicht älter als sechs Monate sind.“ Diese generelle Aussage ist nicht in Übereinklangmit der Stellung ei- ner individuellen rechtfertigenden Indikation (§ 83 Strahlenschutz- gesetz) zu bringen. Zwar mag es für viele Fälle zutreffen, dass ein ak- tuelles Röntgenbild vorliegen sollte. Jedoch ist die Notwendigkeit dafür immer in der Zusammenschau der anamnestischen Angaben, des klinischen Befundes unter Anwendung der Fachkunde des die rechtfertigende Indikation stellenden Zahnarztes für den jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Sowohl die alte Röntgenverordnung als auch die seit dem 31. Dezember 2018 vollständig in Kraft getretene neue Strahlenschutzgesetzgebung [1, 2] fordern die individuelle Entscheidung für die Anfertigung einer Röntgenaufnahme mit der jeweiligen Feststellung „dass der gesundheitliche Nutzen der einzel- nen Anwendung gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt (§ 83 Strahlenschutzgesetz [1]). Die Notwendigkeit der Einzelfallentschei- dung wurde aus juristischer Sicht immer wieder hervorgehoben [3]. Dies sollte auch in den zm entsprechend abgebildet werden, um zu vermeiden, dass unsere Kolleginnen und Kollegen durch solche Pau- schalaussagen verleitet werden, generelle, durch externe Faktoren diktierte Indikationen für Röntgenaufnahmen zu verwenden. Ein einfaches Beispiel mag die Sinnhaftigkeit der vom Gesetzgeber geforderten Einzelfallentscheidung verdeutlichen. In Szenario 1 liegt bei einem jungen, 21-jährigen Patient eine ein Jahr alte Pano- ramaschichtaufnahme (OPG) vor, auf der ein teilretinierter Zahn 48 ohne weitere erkennbare pathologische Veränderungen zu erken- nen ist. Klinisch sieht die Situation reizlos aus, auch ist die spezielle Anamnese bezüglich des Zahnes seit der Anfertigung der Aufnahme unverändert. In Szenario 2 hat derselbe Patient bereits auf der ein Jahr alten Röntgenaufnahme eine periradikuläre transluzente Zone und zeigt klinisch in der Region des Zahnes eine Auftreibung in der Wurzelregion des Zahnes nach lingual. In Szenario 1 ist es sicherlich gut möglich, den Zahn auf Basis des ein Jahr alten OPG durchzufüh- ren, während in Fall 2 die Anfertigung einer aktuellen Aufnahme sinnvoll erscheint. Die Einzelfallregelung im Sinne der rechtfertigen- den Indikation macht also durchaus auch klinisch Sinn und sollte als solche auch Anwendung finden. Pauschalregelungen, wie auch im- mer sie geartet sein mögen, sind weder zielführend noch sind sie in Übereinklang mit den diesbezüglich sehr klaren Regelungen der Strahlenschutzgesetzgebung. [1] Bundesregierung BRD. Gesetz zum Schutz vor der schädlichen Wirkung ionisierender Strahlung (Strahlenschutzgesetz – StrlSchG): StrlSchG, 2017. [2] Bundesregierung BRD. Verordnung zur weiteren Modernisierung des Strahlenschutzrechts: StrlSchV, 2018. [3] Wigge P, Loose R. Ärztliche Aufklärungspflichten bei diagnostischen Röntgenuntersuchungen (1. Teil)“ RöFo 2/2016, S. 218–224 OA Prof. Dr. med. dent. Ralf Schulze, Bereich zahnärztliche Röntgendiagnostik, Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz Augustusplatz 2, 55131 Mainz Wunderschiene – Keine Therapie ohne gezielte bildgebende Diagnostik \ Zum Beitrag „Zahnärztliche Therapie bei schmerzhafter CMD: Abschied von der Wunderschiene“ , zm 8/2019, S. 46–52. Bezug nehmend auf die oben ge- nannte Veröffentlichung möchte ich auf einige, aus meiner Sicht entscheidende Kriterien hinwei- sen. Die Autoren Hellmann und Schindler haben sich viel Mühe gegeben, Literatur – übrigens auch eigene – zu recherchieren und gehen bei Ihrer Studie bis in das Jahrzehnt 1990 zurück. Nach meiner Überzeugung haben sie es jedoch leider versäumt, auf Schmerzempfindung und -ver- arbeitung (die in unserem Ge- hirn stattfindet) entsprechend einzugehen. Insbesondere fehlt jeglicher Hinweis auf das Thema Schmerzgedächtnis. Im Weiteren vermisse ich eine gezielte Diffe- rentialdiagnostik bei cranioman- dibulären Dysfunktionen, die ja nur ein Überbegriff für unter- schiedliche Funktionsstörungen sind. Darüber hinaus fehlt meines Erachtens eine Präsentation der heute möglichen diagnostischen Tools, insbesondere der bild- gebenden Verfahren (MRT). Kein Unfallchirurg oder ortho- pädischer Chirurg würde eine Therapie an Gelenken des Körpers vornehmen, ohne vorher eine gezielte bildgebende Diagnostik durchgeführt zu haben. Ich frage mich warum die Autoren, gerade bei den Kiefergelenken darauf überhaupt keinen Wert legen. Hier scheint noch großer Nach- holbedarf zu bestehen. Deshalb möchte ich insbesondere auf die Aussagen aus den folgen- den Veröffentlichungen hinweisen: Enge Korrelation zwischen MRT- Befunden der Kiefergelenke und Kiefergelenkschmerzen. Emshoff R, Innerhofer K, Rudisch A, Bert- ram S. Int J Oral Maxillofac Surg. 2001 Apr; 30(2): 118–22. MRT der Kiefergelenke ist Gold- standard in der Diagnostik. Barclay P, Hollender LG, Maravilla KR, Truelove EL. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod. 1999 Jul; 88(1): 37–34 Tognini F, Manfredini D, Montagnani G, Bosco M. Minerva Stomatol. 2004 Jul-Aug; 53(7–8):439–48. Diagnostik von craniomandibulären Dysfunktionen nur aufgrund einer klinischen Funktionsdiagnostik ist insuffizient. Bernhardt O, Biffar R, Knocher T, Meyer G. Ann Anat. 2007; 189(4): 342–6. Weder MSA noch Axiographie allein noch in Kombination prä- sentieren zuverlässige Gelenk- befunde, Nur MRT zeigt die Strukturen sicher und ermöglicht eine kausalfundierte Therapie. Bongartz K, Kinzinger G, Gülden N, Riediger A, Ghassemi A, Gerressen M. TMD diagnostics: manual structural analysis (MSA) and axiography versus MRI. J. of Craniomandibular Function. 2012 4(3) 213–226. Dr. Karl-Heinz Schuckert, Arzt und Zahnarzt, INDENTE, Institute of Innovative Oral Surgery and Medicine Centre for Tissue Engineering, Hannover 12 Leserforum
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