Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 11

zm 109, Nr. 11, 1.6.2019, (1193) Frei nach Karl May: Hugh – der große EuGH hat mal wieder ein Urteil gesprochen! Erheblicher zusätzlicher Aufwand ist garan- tiert. Dieses Mal beschäftigte sich der Euro- päische Gerichtshof mit der systematischen (objektiv, verlässlich, zugänglich) Erfassung der Arbeitszeit von Arbeitnehmern. Das Urteil, das auf die Klage einer spanischen Gewerkschaft gegen ein Tochterunterneh- men der Deutschen Bank zurückgeht, hat allerdings Konsequenzen für die gesamte EU und damit auch für Deutschland. „Keine Angst vor der Stechuhr – Die vom Europäi- schen Gerichtshof geforderte Arbeitszeit- erfassung ist bei den meisten Arbeitgebern bereits gang und gäbe“ – so oder ähnlich titelten die meisten Zeitungen. Als wenn die deutsche Wirtschaft nur aus Großunter- nehmen à la BMW bestehen würde, bei denen angesichts der Beschäftigtenmassen Stechuhr und Zeiterfassungschip ja üblich sind. Ein kurzer Blick auf die Unternehmen in Deutschland – geordnet nach der Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter – zeigt da ein ganz anderes Bild. Von den rund 3,48 Millionen Unternehmen (Stand 9/2018) hatten 15.061 Unternehmen mehr als 250 Beschäftigte, 63.928 Unternehmen 50 bis 249 und 293.610 Unternehmen 10 bis 49. Die Majorität der Unternehmen, rund 3,11 Millionen, beschäftigen bis zu 9 Mitarbeiter. Da wird also erneut zusätzlicher „Verwaltungsaufwand“ auf viele der kleinen Unternehmen – zu denen auch die meisten Praxen gehören – zukommen. Wie groß dieser werden wird, obliegt den einzelnen Mitgliedstaaten und deren Lust auf klein- teilige Regelungen. Bei allein rund 2,8 Mil- lionen Beschäftigten in Einkaufs-, Vertriebs-, Handels- und Verkaufsberufen werden wir uns daher auf ein unterhaltsames Gesetz- gebungsverfahren einrichten dürfen, wenn die Politik die jeweiligen Tätigkeitsbereiche und ihre Eigenheiten in Abhängigkeit von der Unternehmensgröße und der Lobby- stärke regeln wird. Denn wie man in der Bundesrepublik komplexe Märkte sinnhaft regelt, wissen wir ja seit den Zeiten der rot- grünen Koalition dank der mit teils absur- den Ausnahmen gesegneten Pfandregelung (2003) von Jürgen Trittin. Ist Orangensaft in der Plastikflasche fällt kein Pfand an, bei Mineralwasser aber schon … Vielleicht er- klärt das auch die lapidare Reaktion vieler Industrie- und Handelskammern, die mit- teilten, erst dann reagieren und ihre Mit- gliedsunternehmen informieren zu wollen, wenn das Urteil vom Gesetzgeber umge- setzt und konkrete Vorschriften absehbar seien. Doch zurück zur Arbeitszeiterfassung: Derzeit sieht das ArBZG in § 16 Abs. 2 nur für Überstunden eine Aufzeichnungspflicht vor, was logisch voraussetzt, dass die geregelte Arbeitszeit bekannt ist. Eine ent- sprechende ausdrückliche gesetzliche Ver- pflichtung zur Erfassung der vertraglichen Arbeitszeit existiert nicht. Womit wir vor der Frage stehen, wie denn die Zeiterfassung derzeit in den Zahnarztpraxen überhaupt gehandhabt wird. Auf den Punkt gebracht: Niemand weiß nichts Genaues nicht! Um die Gegebenheiten ein wenig besser ein- schätzen zu können, habe ich daher eine große Praxisberatung nach ihren Beobach- tungen gefragt. Hier die Einschätzung: Die Bandbreite reicht von gar keine Zeit- erfassung (obwohl Überstunden anfallen!), manuell mit Zettel und Stift oder Excel-Liste (jeder Mitarbeiter notiert seine Über-/Minus- stunden), elektronisch (Fingerscanner, Chip, Versichertenkarte), mittels Stechuhr oder aber es gilt die Vertrauensarbeitszeit. Auf- gezeichnet werden entweder nur die Über- stunden oder die gesamte Arbeitszeit. Es gibt aber auch Praxen, die weder Minus- noch Überstunden aufzeichnen, wohl aus der Erfahrung, dass sich diese über den Monat betrachtet ausgleichen. Wird die Arbeitszeit elektronisch erfasst, dann mit einer eigenständigen oder ins PVS integrierten Software. Prozentual gesehen, so die Berater, nutzen mehr Praxen ein Zeiterfassungssystem, insbesondere die, die im Schichtsystem arbeiten. Allerdings erfordert die Pflege – Nachtragen von Zeiten, Erfassen von Urlaub, Krankheit, Fortbildung etc. – und die Genehmigung einen erheblichen Zeitaufwand. Nicht immer ist in den Praxen geregelt, welche Zeiten zur Arbeitszeit zählen (Umkleidezeit, Raucherpausen, etc.). Sind denn die Mit- arbeiter mit Zeiterfassung zufriedener? Die Antwort ist interessant. Zwar würden sich die Mitarbeiter zunächst freuen, wenn in die Praxis eine Zeiterfassung integriert wird. Vielen würde dann jedoch auffallen, dass sie viel öfter als früher bemerkt „Minusstunden machen dürfen“… Foto: zm-Axentis.de Arbeitszeiterfassung – die Bürokratielast wird weiter steigen Dr. Uwe Axel Richter Chefredakteur 3 Editorial

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