Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 12

zm 109, Nr. 12, 16.6.2019, (1324) Prof. Dr. Christoph Benz Vizepräsident der Bundes- zahnärztekammer Foto: BZÄK-axentis ” Ein besonders schönes Beispiel für den völlig abgehobenen Prüfwahnsinn bietet das Röntgen. Irgendwie hat man das Gefühl, einen Atomreaktor in kritischem Zustand zu betreiben. „Angestellte Zahnärztin geht, wer wird Datenschutzbeauftragter (Brauchen wir wirklich einen?) – Amalgamabscheider viel- leicht defekt, wer prüft schnell, dürfen wir weiterarbeiten? – Krankenkasse akzeptiert keine Bissflügel-Aufnahmen für Paro, hilft Begründung? – Mitarbeiter-Beiträge für Praxishandbuch lesen und korrigieren – Elektrofirma hat keine Zeit mehr, wer darf elektrische Prüfung machen, bis wann nötig? – Bewerbungsgespräche führen – Betriebsanleitung für Trittleiter fehlt, wo gibt‘s die neue Leiter?“ Liebe Kolleginnen und Kollegen, kommt Ihnen das bekannt vor? Das Zitat stammt aus der aktuellen To-do-Liste einer Kollegin in eigener kleiner Praxis. Geschätzter Zeitaufwand: mindestens eine Stunde, wahrscheinlich noch abends. Eine Stunde, in der sie nicht behandeln kann, eine Stunde, in der sie kein Geld verdient, ein Abend, an dem sie sich gern um ihre Familie gekümmert hätte. Die Kollegin ist Managerin, Abteilungsleiterin, Controllerin, Personalerin, Technik-, Rechts- und Hygiene- vorstand, und – ja richtig – Zahnärztin ist sie auch noch. Alles in einer Person, alles, damit 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihr Geld verdienen und die Patienten gut und vor allem „legal“ versorgt werden können. Hinter jedem To-do steckt eine Behörde, eine Norm, ein Gesetz, eine Hersteller-Lobby, in jedem Einzelfall eine „große“ Wichtigkeit mit vermeintlich guter Begründung. In der Summe ergibt sich dann der Wust von Aufgaben, den ein „Klein-Unternehmen“ (9 bis 49 Mitarbeiter nach EU-Empfehlung 2003/361) nicht mehr sinnvoll bewältigen kann. Der Präsident des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks, Michael Wippler, hat es auf den Punkt gebracht: „Entweder Sie kümmern sich um ihren Betrieb, oder Sie halten die Gesetze ein – beides zusammen geht nicht.“ Ein besonders schönes Beispiel für den inzwischen völlig abgehobenen Prüf- wahnsinn bietet das Röntgen. Irgendwie hat man das Gefühl, einen Atomreaktor in kritischem Zustand zu betreiben. Geräte- bücher, Unterweisungen, Aktualisierungs- fortbildungen, Konstanz- und Sachverstän- digenprüfung. Jetzt will auch noch die Behörde Röntgengeräte regelmäßig in der Praxis prüfen. Der Chef des Berliner Flug- hafens, Engelbert Lütke Daldrup, beklagt, dass sich die Zahl der Bauvorschriften in den vergangenen 20 Jahren vervierfacht (!) hat. Er vermutet dahinter die Eigen- interessen von Ingenieuren in Ausschüssen, die auf Gutachteraufträge hoffen. Sowas würde es bei uns natürlich niemals geben, oder? Wir Ärzte haben uns daran gewöhnen müssen, dass der Sinn unserer Leistungen nicht bloß behauptet werden darf, sondern unabhängig und streng wissenschaftlich überprüft werden muss – zum Beispiel durch das IQWiG. Viel sinnvoller wäre ein „IQWiP – Institut für Qualität und Wirt- schaftlichkeit im Prüfwesen“, das die zahlenmäßige und inhaltliche Relevanz von Regulierungen und Prüfungen streng wissenschaftlich bewertet. Lautet das Urteil „unklar“, dann: Tschüss Prüfung! Die Bundeszahnärztekammer engagiert sich schon lange beim Thema Bürokratie- abbau. Dabei haben wir Lehrgeld gezahlt. Die Initiative des Normenkontrollrats hat uns nicht weit gebracht, weil ein viel zu kleines Bürokratie-Fenster betrachtet wurde – die sogenannten Berichtspflichten. Jetzt starten wir ein neues Konzept mit vier konkreten Forderungen: 1. Neun Positionen, die unsere neue „Task Force Bürokratieabbau“ identifiziert hat, müssen verschwinden. 2. Klares Konzept: One in, two out: Für eine neue Vorschrift, verschwinden zwei alte, bis der Wust beherrschbar ist. Dabei sollen bitte EU, Bund und Länder gemein- sam betrachtet werden und natürlich auch Kammern und KZVen. 3. Digitalisierung ist keine Universallösung. Ein bescheuertes Formular wird auf dem Bildschirm nicht besser. 4. Auch Zahnarztpraxen sind „kleine Unternehmen“. Warum vergisst uns das Bundeswirtschaftsministerium regelmäßig bei Bürokratiestudien und -konzepten? Deutschland muss endlich lernen, Unsicherheiten auszuhalten und mehr Vertrauen zu wagen. Wer Mist baut, wird bestraft. Aber nicht alle anderen durch neue Vorschriften. Bürokratie, der Wahnsinn ohne Ende 6 Leitartikel

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