Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm 109, Nr. 13, 1.7.2019, (1477) Diskussion Die Entstehung von Zahnerosionen wird oft- mals fälschlicherweise nur einem niedrigen pH-Wert von konsumierten Getränken und Speisen zugeschrieben. Diese Fehleinschät- zung ist bedingt durch die allgemein be- kannten kritischen pH-Werte von Karies in Schmelz und Dentin. Im Unterschied zur Ka- ries, bei der es einen definierten kritischen pH-Wert von 5,3 bis 5,5 für Schmelz gibt, kann man dem Auftreten von Zahnerosionen aber keinen definierten pH-Wert zuordnen [Lussi et al., 2012a]. Der kritische pH-Wert ist definiert als derjenige, bei dem sich die Zahnhartsubstanz im chemischen Gleich- gewicht mit der sie umgebenden Flüssigkeit befindet. Bei diesem pH-Wert ist die Flüssig- keit bezüglich des Zahnes gesättigt und es kommt insgesamt weder zu einer Auflösung des Zahnes noch zur Bildung neuer Kristalle. Dieser kritische pH-Wert berechnet sich aus den Konzentrationen (eigentlich den Aktivi- täten) der gelösten Stoffe in der Flüssigkeit. Bei Karies ist diese Flüssigkeit die „Plaque- Flüssigkeit“, die individuell immer etwa gleich zusammengesetzt ist, also immer die gleichen Konzentrationen an gelösten Stof- fen enthält. Deshalb gibt es bei Karies einen kritischen pH-Wert, der immer etwa gleich bleibt. Im Fall von Zahnerosionen enthalten die den Zahn umgebenden Flüssigkeiten aber unterschiedlichste Konzentrationen an ge- lösten Stoffen, weshalb kein bestimmter kritischer pH-Wert definiert werden kann. Der entscheidende Faktor, ob es zur Demi- neralisation kommt, ist also insgesamt nicht der pH-Wert selbst, sondern der Sättigungs- grad an gelösten Stoffen in der mit den Zähnen in Kontakt tretenden Flüssigkeit beim jeweiligen pH-Wert. Ist der Gehalt an bestimmten gelösten Stoffen in der Flüssig- keit zu klein, ist diese untersättigt und es wird ein Gleichgewicht angestrebt, wobei es zur Demineralisierung der Zahnhartsub- stanz kommt. Dieser Prozess schreitet so lange voran, bis das Gleichgewicht erreicht und die Flüssigkeit gesättigt ist. Ist der Ge- halt an denselben gelösten Stoffen in der Flüssigkeit jedoch groß, ist diese bereits ge- sättigt oder gar übersättigt, kommt es nie zu einer Demineralisierung. Ob eine Flüssigkeit bezüglich der Zahnhartsubstanz gesättigt ist oder nicht, wird insbesondere durch den Kalziumgehalt und – in kleinerem Maße – durch den Gehalt an Phosphat und Fluorid der Getränke und Speisen beim jeweiligen pH-Wert bestimmt. Bei einem niedrigen pH-Wert ist es daher möglich, dass hohe Konzentrationen dieser Stoffe einer Erosion entgegenwirken, da die Flüssigkeit dadurch bezüglich der Zahnhartsubstanz ge- oder sogar übersättigt ist. Fehlen diese Stoffe jedoch oder sind nur geringe Konzentratio- nen davon vorhanden, kann es andererseits bereits bei einem höheren pH-Wert zur Abgeschätztes erosives Potenzial sowie chemische und physikalisch-chemische Parameter verschiedener Getränke, Speisen und Medikamente Produkte/Substanz Kinderartikel Giant Candy, Spray Super Sour Hannah Brain Licker Haribo Pommes Gelb Mega Mouth Candy Spray Trident Mega Mystery Kaugummi Trink Bärli Apfel Trink Bärli Himbeer Trinketto Bubble Gum Verschiedenes Apfelessig Honig Blütenhonig Honig Waldhonig Obstessig Salatsauce M Classic French Salatsauce Thomy French Classic Salatsauce Thomy French Light Sauerkraut gekocht Tabelle 1, Quelle: Lussi Zahn (B = bleibende Zähne; M = Milchzähne), pH, Änderung der Härte nach zwei Minuten Inkubation, erosives Potenzial, titrierbare Säure, Kalzium, Anorganischer Phosphor, Fluoridgehalt, Sättigungsgrad in Bezug auf Hydroxylapatit, (n.a.: keine Messung). Die Daten stammen zum Teil von Lussi et al., 2012a und Lussi & Carvalho, 2015. Zahn B B M M M B B B B B B B B B B B pH 1.9 1.8 2.5 2.1 2.7 3.1 3.5 3.0 3.4 3.6 4.3 3.2 3.8 4.0 3.8 3.8 Δ % nach 2 Min -23.0 -4.4 -14.1 -59.2 -11.0 -24.5 -11.4 -25.9 -27.2 -0.4 0.2 -50.9 -5.8 -3.9 -6.4 -29.1 erosives Potenzial mmol OH-/l bis pH 7.0 328.1 207.8 104.5 540.0 24.7 29.6 17.8 37.3 n.a. n.a. n.a. 740.8 n.a. 141.0 145.0 n.a. [Ca] mmol/ 0.35 0.45 0.07 0.12 0.37 1.81 1.59 0.67 n.a. n.a. n.a. 3.40 n.a. 20.50 40.00 n.a. [Pi] mmol/l <0.01 0.02 0.12 0.16 0.03 <0.01 0.03 <0.01 n.a. n.a. n.a. 2.20 n.a. 0.46 1.14 n.a. [F] ppm 0.17 0.05 0.02 <0.01 <0.01 0.07 0.07 0.08 n.a. n.a. n.a. 1.20 n.a. 0.10 0.11 n.a. (pK- pI) HAP -41.5 -34.6 -30.6 -31.7 -26.6 -24.4 -18.1 -27.3 n.a. n.a. n.a. -13.0 n.a. -6.1 -5.3 n.a. 39

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