Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm 109, Nr. 13, 1.7.2019, (1478) erosiven Demineralisation der Zahnhartsub- stanz kommen, da die Flüssigkeit dann be- züglich der Zahnhartsubstanz untersättigt ist [Shellis et al., 2014]. Den Einfluss des Sättigungsgrades von Mi- neralien wie Kalzium, Phosphat und Fluorid in Speisen und Getränken auf die Zahnhart- substanz macht man sich in der Prophylaxe zunutze. So kann beispielsweise das hohe erosive Potenzial von Orangensaft (pH-Wert von circa 4, Tabelle) durch Zugabe von Kal- zium aufgehoben werden [Hughes et al., 1999; Wegehaupt et al., 2011]. Joghurt andererseits, der naturgemäß mit einem niedrigen pH-Wert versehen ist, weist auf- grund seines hohen Kalzium- und Phosphat- gehalts kein erosives Potenzial auf (Tabelle) . Das erosive Potenzial von Salatsaucen oder Fruchtsalat kann durch die Beimischung von Joghurt minimiert werden. Weitere ernährungsseitige Faktoren, die die Erosion beeinflussen Alle getesteten Biere (pH-Wert zwischen 4,1 und 4,4) sind sauer, rufen aber keine Erosionen hervor. Cynar, ein italienischer Likör, weist ebenfalls einen tiefen pH-Wert von 4 auf, verursacht aber keine erosive Veränderung der Zahnhartsubstanz. Beide zuletzt genannten Getränke haben weder einen hohen Kalzium- noch einen hohen Phosphatgehalt. Es müssen also andere Faktoren, höchstwahrscheinlich Proteine, eine wichtige schützende Wirkung auf- weisen, indem sie zum Beispiel die Pellikel modifizieren. Eine Fluoridanreicherung von Speisen und Getränken zur Vermeidung von Zahnerosio- nen erscheint hingegen aufgrund der mög- lichen Nebenwirkungen von Fluorid bei der für einen Schutz benötigten hohen Konzen- tration als nicht sinnvoll [Lussi et al., 2019]. Die Verdünnung mit Wasser reduziert die H + -Konzentration und damit das erosive Potenzial. Neben dem Sättigungsgrad gibt es noch weitere die Erosion beeinflussende Faktoren. Besitzt eine Substanz beispielsweise eine hohe Pufferkapazität, dauert es länger, bis sie durch den Speichel neutralisiert werden kann [Shellis et al., 2013]. Die Adhäsions- eigenschaften beeinflussen die Erosivität in- sofern, als dass stärker adhärierende Sub- stanzen eine längere Kontaktzeit an den Zähnen haben und dadurch länger erosiv wirken können. Mehrere Untersuchungen [Jager et al., 2012; Aykut-Yetkiner et al., 2013; Aykut-Yetkiner et al., 2014] zeigen, dass eine hohe Viskosität schützend wirkt, weil der Nachschub von H + -Ionen an der Grenzfläche zum Zahn beeinträchtigt ist (siehe Tabelle, zum Beispiel Hannah Brain Licker, ein süß-saurer Zungenroller zum Lut- schen). Diese Eigenschaft muss in Zusam- menhang mit anderen die Erosion fördern- den Parametern wie dem pH-Wert oder der Pufferkapazität gesehen werden [Carvalho et al., 2017]. Auch die Temperatur von Getränken und Speisen muss beachtet wer- den, da sie sowohl einen Einfluss auf den Sättigungsgrad als auch generell auf die chemische Reaktionsgeschwindigkeit hat, was bei höheren Temperaturen zu einer schnelleren erosiven Auflösung der Zähne führen kann [West et al., 2000; Eisenburger und Addy, 2003; Barbour et al., 2006]. Ebenfalls nicht zu unterschätzen ist die Kon- taktzeit der erosionsfördernden Substanz mit der Zahnoberfläche sowie die Trinkweise (schluckweise versus in einem Zug) und die generelle Anfälligkeit auf Erosionen. Der Unterschied in der Anfälligkeit auf erosiven Zahnhartsubstanzverlust kann nach unseren Untersuchungen eine genetische Kompo- nente aufweisen [Alaraudanjoki et al., 2019], aber auch mit der Speichelzusammensetzung (zum Beispiel Proteingehalt) zusammen- hängen. Beispielsweise ist die genaue Zu- sammensetzung von Mineralionen und Pro- teinen im Speichel entscheidend für den Schutz vor Erosionen [Baumann et al., 2016], außerdem wurden klare Unterschiede des Erosionsschutzes zwischen Kinder- und Erwachsenenspeichel gezeigt [Carvalho et al., 2016a]. In einer weiteren Studie erreichte bei Patienten ohne Erosionen der pH-Wert an den Zahnoberflächen drei bis fünf Minu- ten nach dem Konsum von Orangensaft wieder unbedenkliche Werte, während bei Patienten mit Erosionen dies erst nach fünf bis sieben Minuten der Fall war [Lussi et al., 2012b]. In dieser Untersuchung haben alle Probanden unter Aufsicht auf die gleiche Art und Weise getrunken und es bestanden keine wesentlichen Unterschiede in den gemesse- nen Speichelparametern (Fließrate, Puffer- kapazität bis pH 7). Das Proteom und der Proteingehalt wurden leider nicht gemessen. Diese Arbeit zeigt auch, dass Spülen nach Konsum von Saurem ein gutes Mittel ist, um den pH-Wert auf der Zahnoberfläche zu er- höhen. Eine übersättigte Substanz kann, wie oben erwähnt, nie Erosionen verursachen, deutlich untersättigte immer. Substanzen wie beispielsweise Joghurt mit Waldbeeren (Tabelle 1), die nur leicht untersättigt sind, verursachen klinisch keine messbare Erosion, da sie an der Grenze zur Zahnoberfläche durch den lokalen Demineralisationsprozess neutralisiert und mit Kalzium vom Zahn lokal angereichert werden. Dies ist beim Um- spülen der Zähne mit erosiven Getränken nicht der Fall. Insofern kann auch erklärt werden, warum bestimmte Trinkgewohn- Auch Medikamente können erosions- auslösend sein – entweder direkt durch ihren niedrigen pH- Wert oder indirekt durch ihre nicht immer gewollte Wirkung auf die Speichelfließrate und -zusammensetzung. Foto: AdobeStock_BillionPhotos 40 Fortbildung Ernährung und Mundgesundheit

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=