Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13
zm 109, Nr. 13, 1.7.2019, (1482) Eine weitere wichtige Beobachtung aus den 1970er-Jahren ist die, dass sich oberflächliche initiale kariöse Läsionen, die nach drei- wöchigem ungestörten Plaquewachstum und kontrollierten Spülungen mit Zucker- lösung entstanden sind, vollständig zurück- bilden konnten, sobald eine adäquate Mundhygiene re-etabliert und das Spülen mit Zuckerlösung eingestellt wurde [von der Fehr et al., 1970]. Tatsächlich lässt sich aber beobachten, dass die klaren Zusammen- hänge zwischen Zuckerkonsum und Karies- entstehung, die in den 1950er- bis 1970er- Jahren beschrieben wurden, in neueren Studien weniger stark ausgeprägt sind. Dies liegt vor allem an der Verbreitung von fluoridierten Zahnpasten [Zero, 2004]. Der Zuckerkonsum selber stagniert seit einigen Jahren und liegt für Deutschland und die Schweiz bei etwa 45 kg pro Kopf und Jahr [Neuhaus et al., 2014]. Zukünftige Forschung wird sich vermehrt der Fragestellung wid- men, welche Rolle die Ernährung (speziell niedermolekulare Kohlenhydrate) auch in Bezug auf die Entstehung von Parodontitis spielen kann [Chapple et al., 2017]. Ökologische Plaquehypothese Alle Stoffe, mit denen der dentale Biofilm in Berührung kommt, stellen dessen Öko- system dar und beeinflussen das Habitat. Eine häufige Verfügbarkeit von Zucker be- günstigt das Wachstum derjenigen Bakte- rien im Biofilm, die besonders leicht Zucker verstoffwechseln können. Stoffwechselpro- dukte bei der bakteriellen Vergärung von Mono- und Disacchariden sind intrazelluläre Glykogen-ähnliche Polysaccharide oder extra- zelluläre Polysaccharide. Beide Saccharide können zu Ameisensäure, Milchsäure oder Essigsäure verstoffwechselt werden, was den pH-Wert in der Plaque senkt. Das Vorhan- densein von Zuckern begünstigt also primär das Wachstum von azidogenen (Säure pro- duzierenden) Spezies. Ein zunehmend saures Biofilmmilieu wiederum bedeutet für säure- tolerante (azidophile) Mikrobiota – beispiels- weise die bekannten S.-mutans-Bakterien – einen Selektionsvorteil, so dass sich der Bio- film nach und nach verändert. Erst ein nachhaltiger Selektionsdruck auf den dentalen Biofilm führt zur Herausbildung und Heranreifung einer kariogenen Plaque und somit über die Zeit zum Entstehen von Karies. Die gute Nachricht: Die Zusammen- setzung des Biofilms ist reversibel und kann durch eine Veränderung des Ökosystems seine Kariogenität verlieren [Takahashi und Nyvad, 2008]. Während bis in die 1980er- Jahre hinein die Meinung vorherrschte, dass Karies eine spezifische Infektionskrankheit ist, hat sich heute die Gewissheit etabliert, dass Karies das Ergebnis (Symptom) eines katastrophal aus dem Gleichgewicht gerate- Abbildung 1: Ökologische Plaquehypothese [nach Marsh, 2003] Quelle: Klaus W. Neuhaus [nach Marsh, 2003] 44 Fortbildung Ernährung und Mundgesundheit
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