Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13

zm 109, Nr. 13, 1.7.2019, (1483) nen dentalen Biofilms (einer Erkrankung) ist [Marsh, 2003]. Eine ursächliche Karies- Therapie besteht also in der „Heilung“ des dentalen Biofilms durch Veränderung der Umweltbedingungen. Mit den Worten von van Palenstein-Helderman et al.: „S. mutans muss als Teil der kommensalen Flora der Mundhöhle angesehen werden“ [van Palen- stein-Helderman et al., 1996]. Mit einem solchen Verständnis von Gesundheit und Krankheit der Zahnhartsubstanz müssen Versuche, etwa S. mutans durch Impfung gezielt zu eradizieren, als nutzlos angesehen werden. Denn die ökologische Nische würde sonst durch andere azidurische und azidogene Mikroorganismen besetzt werden. Beeinflussung des dentalen Biofilms Der dentale Biofilm kann auf verschiedene Weise beeinflusst werden: mechanisch oder chemisch, beispielsweise durch Fluorid, oder durch Ernährungslenkung. Die mechanische Mundhygiene führt einerseits zur Reduktion der Bakterienanzahl, andererseits zu einer Zerstörung der Organisationsstruktur des Biofilms, wodurch dessen Kariogenität ver- mindert wird. Eine perfekte mechanische Mundhygiene ist jedoch sehr zeitaufwendig und für die meisten Menschen nicht in den Alltag integrierbar; ganz zu schweigen von den Kindern und sehr alten Menschen, die rein manuell gar nicht in der Lage sind, ihre Zahnoberflächen perfekt zu reinigen. Beeinflusst wird der dentale Biofilm auch durch fluoridierte Zahnpasta, die den Bio- film zumindest an denjenigen Stellen mit Fluorid auflädt, die der mechanischen Mundhygiene nicht oder nur unzureichend zugänglich waren [Tenuta et al., 2009]. Auch eine chemotherapeutische Eradikation des Biofilms beispielsweise durch Chlor- hexidinspülungen ist möglich, sollte aber nur kurzzeitig Verwendung finden, da die Mundhöhle als Übergangspforte von der Außenwelt zum Körperinneren natürlicher- weise von Bakterien besiedelt ist. Die vermutlich grundlegendste Beeinflus- sungsmöglichkeit des dentalen Biofilms be- steht über die Ernährung. Beispielsweise weisen Patienten, die an hereditärer Fruktoseintoleranz leiden, so gut wie keine Karies auf, da sie nur sehr wenig Zucker in ihrer Diät haben [Newbrun et al., 1980; Saxen et al., 1989]. Bei diesen Patienten fal- len insbesondere die fast belagfreien Inter- dentalräume auf. Wer allerdings schon ein- mal im Selbstversuch probiert hat, jeglichen Zucker aus seiner Ernährung zu verbannen, wird schnell feststellen, dass dies sehr schwierig ist. Da viele industriell hergestell- ten Nahrungsprodukte Zuckerzusätze haben, bedingt eine zuckerfreie Ernährung, dass man im Wesentlichen selber kocht und backt, was noch zeitaufwendiger ist als eine perfekte mechanische Mundhygiene. Der Verzicht auf Fertigprodukte ist heutzutage aus Zeitgründen schwer zu bewerkstelligen, da der Alleinverdienerhaushalt weitgehend der Vergangenheit angehört [Weber und Zimmert, 2018] und kaum noch regelmäßig häuslich gekocht wird. Da eine vollständige Zuckerkarenz schwie- rig und vielleicht auch nicht unbedingt wünschenswert ist, kann die Auswahl der verzehrten Zucker mit dazu beitragen, den Biofilm zu beeinflussen. Beispielsweise kann der dentale Biofilm Isomaltulose (Marken- name Palatinose®) in der Mundhöhle nicht verstoffwechseln, obwohl es sich um ein Disaccharid handelt. Aufgrund der weit- verbreiteten Verwendung von fluoridierten Zahnpasten ist eine strenge Zuckerkarenz vermutlich nicht mehr nötig und nicht mehr zeitgemäß [van Loveren, 2000]. Zuckeraus- tauschstoffe und Süßstoffe können an dieser Stelle ebenfalls dazu beitragen, den Konsum von Zucker zu reduzieren, ohne auf ein süßes Geschmackserlebnis verzichten zu müssen. Zuckeraustauschstoffe Bei Zuckeraustauschstoffen handelt es sich im Wesentlichen um sogenannte Zucker- alkohole oder Polyole, die ähnlich süß schmecken wie Haushaltszucker, aber so- wohl in der Mundhöhle als auch im Darm anders verstoffwechselt werden. Tabelle 2 zeigt die in der EU zugelassen Zuckeralkohole. Zuckeraustauschstoffe haben einen Brenn- wert und geben Volumen. Interessanter- weise werden vom Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz für Zucker- austauschstoffe keine zu verzehrenden Höchstmengen publiziert. Da diese aber im Magen-Darm-Trakt nur langsam resorbiert werden, osmotisch aktiv sind und daher eine laxierende Wirkung haben können, sind sie als alleinige Süßmacher in Geträn- ken nicht zugelassen. Für die Zahnmedizin am bedeutsamsten sind Sorbit und Xylit, neuerdings auch Erythrit. Erythrit hat zufällig die Eigenschaft, dass es die richtige Korngröße und Wasserlöslich- keit besitzt, um subgingivale Wurzelpolituren mit Pulver-Wasserstrahl-Geräten durchführen zu können. Da es wohlschmeckend und nicht kariogen ist, ist die Akzeptanz des In der EU zugelassene Zuckeralkohole Sorbit Mannit Isomalt Maltit Lactit Xylit Erythrit Tabelle 2 Quelle: Klaus W. Neuhaus E-Nummer E 420 E 421 E 953 E 965 E 966 E 967 E 968 Süßkraft (Saccharose = 1) 0,5 0,4 0,5 0,9 0,4 1 0,6 45

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