Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 13
zm 109, Nr. 13, 1.7.2019, (1513) Die hohe Belastung im Arbeitsalltag birgt laut den beiden hessischen Suchtbeauftragten eine weitere Gefahr: Wenn sich Mediziner vor Arbeit nicht retten können, rutschen sie unter Umständen in ein Helfersyndrom ab und verlieren die Fähigkeit, für sich selbst zu sorgen. Drexler: „Mediziner achten oft nicht ausreichend auf ihre eigene Gesund- heit. Sie arbeiten viele Stunden, so dass Familie, Freunde und Hobbys vernachlässigt werden. Irgendwann fühlen sie sich dann ‚leer gelutscht‘ und Drogen erscheinen als Lösung, den Druck zu erleichtern oder sich nach einem arbeitsreichen Tag zu belohnen. Aus dem Belohnungssystem wird dann nach und nach Gewohnheit, und die Dosis muss steigen, damit das System weiter funktioniert. Abhängigkeit ist der nächste Schritt.“ „Wenn ich will, kann ich morgen aufhören“ Spätestens dann fingen die Betroffenen an, sich selbst zu belügen nach dem Motto: Ich kriege das hin. Wenn ich will, kann ich mor- gen aufhören. „Vom Verstand her wissen sie, dass etwas falsch läuft“, erzählt Drexler. „Aber da ist diese beschwichtigende Stimme im Inneren. Wenn die Drogen sprechen könnten, würden sie sagen: ‚Nimm einen Whiskey, schluck eine Pille, dann geht es dir besser. Das Zittern hört auf, du bist ein sym- pathischer Mensch, du kannst schlafen.‘“ Akute Gefahr, abhängig zu werden, besteht, wenn man anfängt, Gefühlssituationen mit Substanzen wie Alkohol oder Medikamenten zu manipulieren, wenn eine Regelhaftigkeit entsteht, wenn die Abstände des Drogen- konsums kürzer und die Dosen höher wer- den. Und wenn man versucht, seelische Konflikte oder Überbelastung mit Drogen zu mindern. In einer solchen Situation sollten Mediziner und Medizinerinnen immer zu einem Kollegen oder einer Kollegin gehen und nicht zur Selbstmedikation greifen, empfehlen sowohl Drexler wie Paul. ” Seit ich 15 war, hatte ich Kontakt zu Drogen. Cannabis konsumierte ich regelmäßig. Später kamen LSD und Meskalin dazu und ich wurde abhängig von Kokain. Irgendwann wollte ich das nicht mehr. Mein Leben hat so nicht funktioniert. Ich habe mich dann freiwillig an den Suchtbeauftragten meiner Zahn- ärztekammer gewandt und eine Therapie begonnen. Ich dachte immer, dass es mir beim Konsum von Drogen um schöne Erlebnisse ging. Im Laufe meiner Therapie stellte sich aber heraus, dass ich eine bipolare Störung habe. Drogen waren mein Versuch, meine manisch-depressive Erkrankung zu überspielen. angestellter Zahnarzt, 42 Jahre* Besondere Verantwortung kommt aus ihrer Sicht auch den Menschen im Umfeld eines Betroffenen zu. Fast jeder Abhängige habe Menschen um sich, die ihm beim Vertuschen helfen würden. Diese Co-Abhängigkeit kann viele Gründe haben. Zum Beispiel die Angst, seine Existenzgrundlage oder sein Ansehen zu verlieren. Der Chefin heimlich Alkohol zu besorgen oder den unter Drogeneinfluss stehenden Ehemann in der Praxis krank zu melden, sei jedoch zu kurz gedacht. „Ehepartner, Mitarbeiter oder Kollegen, die lügen, sind wie eine Kerzenflamme, die die Sucht am Laufen halten“, gibt Drexler zu bedenken. Paul betont, Angehörige müssten akzeptie- ren, dass Abhängigkeit eine schwere, chro- nische Erkrankung sei, die sie selbst nicht therapieren könnten: „Sie ist ein psycho- logischer und körperlicher Teufelskreislauf, aus dem man am besten mit externer, professioneller Hilfe herauskommt.“ Schweigepflicht: Niemand wird verpfiffen Aus eigenem Antrieb melden sich 15 Pro- zent der Mediziner und Medizinerinnen, mit denen die hessischen Sucht- und Drogen- beauftragten Kontakt haben. Knapp ein Drittel geht auf Beschwerden von Patienten oder Mitarbeitern zurück. Der Großteil der Kollegen wird den Berufskammern jedoch von Staatsanwaltschaften und Strafgerichten gemeldet. Das geschieht über die soge- nannte MiStra, die Anordnung über Mittei- lungen in Strafsachen, die die Meldepflicht für straffällig gewordene Angehörige von Heilberufen regelt. Die Angst wegen ihrer Sucht Berufsverbot zu bekommen, hält viele davon ab, sich bei ihrer Kammer zu melden. Drexler betont aber, dass die Standesvertretung kein schlechter Ansprechpartner sei: „Voraus- setzung ist, dass man das Hilfsangebot fach- lich gut und sensibel aufbaut. Der hessische Sucht- und Drogenbeauftragte ist deshalb mit einer Schweigepflicht ausgestattet. Wir verpfeifen niemanden. Betroffene können sich darüber hinaus auch anonym melden. Wir vermitteln sie dann an Therapeuten oder Selbsthilfegruppen für Mediziner und Medizinerinnen weiter.“ Aber wer schummelt, wird sanktioniert Allerdings: Hört der Drogenkonsum nicht auf, steht die Berufsausübung durchaus auf dem Spiel. Rückfälle im Rahmen einer The- rapie schließt Drexler davon ausdrücklich aus: „Sie sind ein Teil der Erkrankung und können passieren. Sie können sogar sehr lehrreich sein. Aber wenn Betroffene trotz Therapie immer wieder in ein Schummel- Schema geraten oder unter Drogen arbei- ten, kündige ich Sanktionen an und leite – wenn sich nichts ändert – approbations- rechtliche Schritte ein.“ Am Anfang einer Therapie steht die Ent- giftung. Wie lange sie dauert, kommt auf Foto: iStock - _Radu Bighian 75
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