Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
zm 109, Nr. 14, 16.7.2019, (1588) da sie sich stark in den probiotischen Kei- men, der Keimzahl und der Applikations- form unterscheiden. Positive Effekte von Probiotika auf die Mundflora könnten aber durchaus auch ohne Integration probiotischer Bakterien in den Biofilm erreicht werden, nämlich durch orale Bakteriozine und solche, die für die Wirkung von Probiotika im Darm verant- wortlich gemacht werden. Nebenwirkungen und Gefahren Auch wenn der Begriff „Probiotika“ gegen- über dem häufig negativ belegten Begriff „Antibiotika“ ein positives Bild suggeriert, sollten auch potenzielle Nebenwirkungen dieser künstlich zugeführten und möglichst lebens- und teilungsfähigen Bakterien in Betracht gezogen werden. Da viele Produkte unterschiedliche Bakterien- stämme oder Kombinationen von unter- schiedlichen Stämmen enthalten, sind Ne- benwirkungen schwierig pauschal zu beur- teilen. Zahlreiche Wissenschaftler kritisieren, dass nur ganz wenige Präparate als Arznei- mittel, aber die meisten als Nahrungs- ergänzungsmittel deklariert werden, somit keinen strengen Kontrollen unterliegen und durch den Patienten unlimitiert eingenom- men werden können. Schwendicke und Vuotto et al. weisen dabei auf die prinzipielle Kariogenität von Lakto- bazillen hin, denn dem Zahnmediziner sind diese Bakterien mit ihrer Milchsäure- Produktion doch eher als schädlich, denn als nützlich bekannt [Schwendicke, 2014a; Vuotto et al., 2014]. In ihrer Studie mit einem Biofilmmodell konnten sie vor allem bei gleichzeitiger Zuckerzufuhr durch Lacto- bacillus rhamnosus GG einen signifikanten Mineralverlust in Dentinkavitäten zeigen, sowie gleichzeitig eine fehlende Hemmung von Streptococcus mutans. Dies muss sicher bei der Empfehlung für Patienten mit initia- len oder manifesten Kariesläsionen sowie einer zuckerreichen Ernährung berücksich- tigt werden. In dieser Hinsicht ist vor allem Vorsicht bei den stark kohlenhydrathaltigen Trinkjoghurts geboten, die den Karieskeimen zugleich noch das Substrat liefern. Sehr viel weitreichender können die Folgen aber auch für den Gesamtorganismus sein. Da Probiotika zunächst Magen und Dünndarm passieren müssen, könnten sie dort auch zu einer „Übersäuerung“, einer sogenannten Laktatazidose, führen. Das Überangebot der D-Milchsäure (linksdrehende) kann zu Orien- tierungslosigkeit und schlimmstenfalls zum Tod führen [Rao et al., 2018]. Bereits 2008 sorgte die sogenannte ProPaTria-Studie an 89 Pankreatitis-Patienten, publiziert im Lancet, für Schlagzeilen. Probiotika sollten hier zur Prophylaxe einer schweren akuten Pankreatitis eingesetzt werden, führten aber zu einer sig- nifikanten Erhöhung der Sterblichkeit (n = 24) gegenüber der Placebo-Gruppe (n = 9) [Besse- link et al., 2008]. Bei acht Patienten konnte eine Darmischämie als Todesursache identi- fiziert werden, während diese Erkrankung in der Placebo-Gruppe nicht festgestellt wurde. Als Kontraindikation für die Anwendung von Probiotika werden daher von wissenschaft- licher Seite schwere akute Pankreatitis, Ab- wehrschwäche, Autoimmunerkrankungen sowie andere chronische Erkrankungen (Herzklappen) angegeben. Die Darmwand von Anwendern sollte weitgehend intakt sein, damit diese Bakterien sie nicht durch- dringen und Schaden anrichten könnten. Fazit und Ausblick Neben der Fähigkeit von probiotischen Bakterien zur Verdrängung anderer Keime scheint ihre Wirkung im Bereich der paro- dontalen Erkrankungen eher in der Inter- aktion mit anderen Pathogenen durch Bakteriozine sowie in der Stimulation der Immunantwort des Wirtes zu liegen. Auch wenn bereits verschiedene Reviews existie- ren, braucht es weitere, sorgfältig geplante klinische Untersuchungen, um die, vor allem durch die Industrie gerne angenommenen, positiven Wirkungen auch wissenschaftlich fundiert zu verifizieren. Prof. Dr. med. dent. Nicole Arweiler Abteilung für Parodontologie und periimplantäre Erkrankungen Philipps Universität Marburg, UKGM Standort Marburg Georg-Voigt-Str. 3 35039 Marburg arweiler@med.uni-marburg.de Prof. Dr. Nicole Arweiler 1990–1996: Studium der Zahn- heilkunde an der Universität des Saarlands, Deutschland 1997–2000 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Parodontologie und Zahnerhaltung der Universität des Saarlands 1999 Promotion zur Dr. med. dent. 2001–2009: wissenschaftliche Assistentin in der Abteilung für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg 2002: Ernennung zur Oberärztin in der Abteilung 2003: Ernennung zur Junior- professorin sowie Habilitation und Venia legendi an der Albert-Ludwigs- Universität Freiburg 2006: Ernennung zur Apl-Professorin der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg 2009: Ruf auf die Professur (W3) für Parodontologie der Philipps- Universität Marburg seit 02/2010: Ordinaria und Direktorin der Abteilung Parodontologie der Uniklinik der Philipps-Universität Marburg Foto: privat Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 42 Fortbildung Ernährung und Mundgesundheit
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