Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
zm 109, Nr. 14, 16.7.2019, (1591) wie die gesamte, durch Zucker realisierte Energiemenge laut WHO maximal sein sollte! SSBs werden zudem bereits in jun- gem Alter konsumiert; über 20 Prozent der Kleinkinder in den USA konsumieren SSBs [Welsh et al., 2013]. SSBs tragen bei Jugendlichen in Europa mehr Energie ein als alle anderen Getränke zusammen; teilweise decken sie 15 Prozent oder mehr der erforderlichen Tagesgesamt- energiemenge [Avery et al., 2015] – und das, obwohl SSBs keine sinnvolle Nahrungs- quelle sind – sie stellen außer Energie keine relevanten Nahrungsbestandteile zur Ver- fügung [Avery et al., 2015]. Auch hier spie- len der niedrige Preis, aber auch die teils aggressive Vermarktung eine Rolle. 2010 hat die Zuckerindustrie fast eine Milliarde Euro für das Marketing von SSBs ausgege- ben, 50 Prozent davon zielten auf Kinder oder Jugendliche ab [Pomeranz, 2012]. Auswirkungen eines hohen Zuckerkonsums Die gesundheitlichen Auswirkungen eines chronisch hohen Konsums von Mono- oder Disacchariden sind mittlerweile durch zahl- reiche Studien belegt. So erhöht ein hoher Zuckerkonsum das Risiko, an Diabetes melli- tus Typ II, Bluthochdruck, Übergewicht und Fettleibigkeit oder Schlaganfall zu erkranken. Hierbei werden Mechanismen der Hyper- kalorie (Überversorgung mit Energie), Dys- lipidämie (Fehlsteuerung des Fettstoff- wechsels) und der Hyperinflammation (chronische Hochregulation entzündlicher Prozesse) involviert. Auch für Karies stellen Zucker bekannter- maßen einen relevanten, wenn nicht sogar den wichtigsten Risikofaktor dar. Eine große, im Auftrag der WHO erstellte Übersichts- arbeit schloss insgesamt 55 Studien, die sich dem Zusammenhang zwischen Karies und Zuckerkonsum widmeten, ein. Dabei wurden drei Interventionsstudien, acht Kohorten- studien und 44 Querschnitts- oder Bevölke- rungsstudien berücksichtigt; die Mehrzahl untersuchte Kinder [Moynihan et al., 2014]. Die eingeschlossenen Studien konnten eine klare – wenn auch unterschiedlich aus- geprägte – Dosisabhängigkeit zeigen: Mit steigender Menge des täglich zugeführten Zuckers steigt auch der jährliche Karies- zuwachs. Aufschlussreich sind auch Studien aus Japan, die die Karieszuwächse während der zucker- armen Kriegsjahre und danach beobachte- ten. Insgesamt scheint es einen sogenannten sigmoidalen (S-förmigen) Zusammenhang zu geben: Unter einer jährlichen Zucker- zufuhrmenge von 15 kg pro Kopf wird ein nur geringer Karieszuwachs verzeichnet; zwischen 15 und 35 kg Zuckerzufuhr pro Jahr und Kopf kommt es mit jedem zusätz- lichem Kilogramm Zuckerkonsum zu einem erhöhten Karieszuwachs, der dann abflacht und ab circa 40 kg Zuckerkonsum pro Jahr und Kopf relativ stabil bleibt [Moynihan et al., 2014; van Loveren, 2019; Bernabe et al., 2016]. Ein ähnlicher Zusammenhang wurde eben- falls zwischen Karies und SSBs beobachtet, auch hier gibt es eine klare Dosisabhängig- keit [Bernabe et al., 2014]. Die beobachte- ten Zusammenhänge sind außerdem kein Phänomen, das nur an Kindern beobachtet wird, sondern bleiben über längere Lebens- perioden ins Erwachsenenalter hinein stabil [Peres et al., 2016]. Da Karies zunehmend nicht mehr als eine Erkrankung von Kindern, sondern genauso von Erwachsenen und Senioren gesehen wird, gelten hier ähnliche Assoziationen [Broadbent et al., 2013]. Die Zuckermenge ist demnach ein entschei- dender Faktor für die Kariesentstehung und Interventionskategorien und Maßnahmenbeispiele zur Begrenzung der Zuckerzufuhr Kategorie Zahnarzt-bezogene Interventionen Lokale Umweltbedingungen optimieren Medien und Werbung Gesetzgebung und Regulation Tabelle 1: Interventionskategorien und Maßnahmenbeispiele zur Begrenzung der Zuckerzufuhr Quelle: F. Schwendicke Maßnahmenbeispiele Zahnärztliche Ausbildung, Ernährungsberatung und Aufklärung in der Praxis Aufklärung, alternative Getränke bzw. Speisen anbieten und/oder preislich attraktiv machen Werbeverbote, Aufklärungskampagnen Verbote, Steuern, Zwang zur Reformulierung von Produkten, Verpackungsgrößenregelung, Verpackungsinformation/ Lebensmittelampel, Landwirtschaftspolitik Abbildung 1: Zuckerarten Quelle: F. Schwendicke [nach Moynihan et al., 2018] 45
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