Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

zm 109, Nr. 14, 16.7.2019, (1594) die Verpackungsgrößen von SSBs zum Bei- spiel um mehr als 50 Prozent gestiegen. In den USA haben erste Bundesstaaten jetzt Maximalpackungsgrößen vorgeschrieben, was automatisch auch den Konsum senkt [Pomeranz, 2012; Welsh et al., 2013]. Ein neuerlich heiß diskutiertes Thema ist die sogenannte „Zuckersteuer“ beziehungs- weise eine Steuer auf mit Zucker gesüßte Getränke („SSB-Tax“). Steuern im Bereich der Lebens- und Genussmittel sind nichts Ungewöhnliches – Alkohol und Tabak wer- den seit Jahrzehnten besteuert. Initial zielten diese Steuern jedoch vor allem auf die Auf- besserung der Staatskasse ab; die eigentliche „Steuerungswirkung“ steht erst in jüngerer Zeit im Vordergrund. Diese bedient sich eines Prinzips der Ökono- mie; der sogenannten Elastizität [Colchero et al., 2015]. Sie beschreibt, wie sich Konsum- verhalten bei Preisänderungen ändert. Bei wenig elastischen Produkten (oftmals jene, die man unbedingt braucht oder unbedingt will – von Grundnahrungsmitteln über Wohnen bis hin zum teuren Smartphone) ändert eine Preisänderung nur wenig am Konsumverhalten. Bei stark elastischen Pro- dukten hingegen schwankt der Konsum in Abhängigkeit vom Preis: Eine Preissteigerung von 10 Prozent führt bei einem elastischen Produkt zu einer Konsumreduktion von 10 Prozent. Oftmals sind solche Reduktionen dann jedoch mit einem Mehrkonsum anderer Produkte assoziiert, solch ein Aus- weichkonsum wird auch ökonometrisch erfasst (Kreuzelastizität). Ein typisches kreuz- elastisches Nahrungsmittel zu SSBs wären die beschriebenen Fruchtsäfte [Colchero et al., 2015]. Kreuzelastische Effekte sollten vor der Einführung einer Steuer bedacht werden. Süße Nahrungsmittel sind teilelastisch – es findet keine 1:1-Konsumänderung als Reak- tion auf eine Preisänderung statt, jedoch sind sehr wohl Konsumentenreaktionen zu verzeichnen. Preisänderungen können durch Zölle, direkte Besteuerung im Fertigungs- prozess oder als Umsatzsteuer erreicht werden. Ein wichtiger Aspekt bei solchen Preisänderungen: Sie sind „regressiv“; Kon- sumenten mit geringem Einkommen rea- gieren empfindlicher auf Preisänderungen als jene mit hohem Einkommen [Eyles et al., 2012; Finkelstein et al., 2013]. Die Preis- steigerungen treffen demnach die sozial Schwachen, was auf den ersten Blick unfair wirkt. Allerdings sind ja genau diese Grup- pen auch diejenigen mit dem ungünstigen Verhaltensprofil (sie konsumieren viel Zucker, stehen aber für individualprophylaktische Maßnahmen nur selten zur Verfügung) und sollen durch eine solche Maßnahme beson- ders angesprochen werden. Der unfaire Charakter der Preissteigerung führt dazu, dass sie schlussendlich weniger Zucker kon- sumieren und ihr Konsumverhalten über- proportional gesünder wird. Eine Zucker- steuer kann vor allem eine sozial sinnvolle Maßnahme sein, wenn die Einnahmen gleichzeitig dazu genutzt werden, gesunde Lebensmittel günstiger zu machen – beispielsweise durch Steuersenkungen [Colchero et al., 2015; Eyles et al., 2012; Finkelstein et al., 2013; Andreyeva et al., 2010]. Seit 2010 wurden in zahlreichen Ländern Steuern auf Lebensmittel erhoben, um un- gesundes Konsumverhalten zu kontrollieren. Finnland, Mexiko, Frankreich, das Vereinigte Königreich und Ungarn haben Zucker- steuern eingeführt; Portugal und Ungarn zudem eine Salzsteuer. Dänemark hatte eine „Fettsteuer“ eingeführt, diese aber mittler- weile wieder abgeschafft. Bei solchen Steuern unterscheidet man Mengensteuern, die die Menge des Produkts besteuern, von Ad-valorem-(oder Wert-)Steuern, die auf den Produktpreis anfallen. Letztere treffen vor allem teure Produkte; Ausweicheffekte auf Billigprodukte und große (billigere) Mengen sind dabei nahezu unausweichlich [Wright et al., 2017]. Die Wirksamkeit einer Zuckersteuer wurde durch eine Reihe von Studien untersucht (Tabelle 2). Gerade die sogenannten Mo- dellierungen zeigten positive Effekte. Diese Studien messen jedoch keine wirklichen Effekte, sondern arbeiten unter bestimmten Annahmen. Dabei gehen Modellierungen beispielsweise nach folgendem Schema vor: Die Elastizität für SSBs ist ?%, eine Preis- steigerung von ?% reduziert den SSB-Kon- sum demnach um ?l/Tag und führt damit zu einer Reduktion der Zuckerzufuhr um ?g/Tag; gleichzeitig findet eine Kreuzelasti- zität zu Fruchtsäften mit ?% statt, wodurch die Zuckerzufuhr um ?g/Tag gesteigert wird; die Nettoreduktion der Zuckerzufuhr wird zu ? Tausend weniger Fällen von Über- gewicht in Deutschland führen. Für die Auswirkungen einer Zuckersteuer auf Karieserfahrung und Übergewichts- prävalenz in Deutschland gibt es solche Modellierungen; diese zeigen moderate Gesundheitseffekte und bescheinigen einer solchen Steuer auch sinnvolle soziale Aus- gleichseffekte. Danach gehen Karies und Übergewicht vor allem in sozial schwachen Schichten zurück; jüngere Männer aus bil- dungsfernen Schichten profitieren von einer solchen Steuer überproportional [Schwendicke und Stolpe, 2017; Schwendicke et al., 2016]. Die Effekte, die dann in der Realität gemessen werden, sind allerdings oftmals kleiner. Ein wichtiger Aspekt scheint die Höhe der Steuer zu sein. Aus politischen Opportunitäten heraus werden diese Steuern oft niedriger angesetzt als in den Modellie- rungen angenommen. Um deutlich messbare Effekte zu generieren, sind jedoch oftmals Preissteigerungen von circa 15–20 Prozent notwendig [Vezina-Im et al., 2017]. Die öf- fentliche Unterstützung für jegliche Steuern diese Art ist allerdings – unabhängig von deren Höhe und Wirksamkeit – gering [Wright et al., 2017]. Experimentelle Studien existieren keine, allerdings sind diese auch kaum umsetzbar. Schlussfolgerungen Die empfohlene maximale Tagesenergie- menge, die mit Zucker, also Mono- und Disacchariden, gedeckt werden sollte, liegt bei fünf bis zehn Prozent. Die Realität liegt teilweise bei einem Vielfachen. Der Zucker- konsum ist dabei überwiegend bei jüngeren Für eine erfolgreich gelöste Fortbildung erhalten Sie 2 CME-Punkte der BZÄK/ DGZMK. Zucker – der neue Tabak? CME AUF ZM - ONLINE 48 Fortbildung Ernährung und Mundgesundheit

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=