Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14
zm 109, Nr. 14, 16.7.2019, (1612) durch einen veränderten Speichel-pH-Wert, bestimmte Rezeptoren anders auf Reize an- sprechen [Xu et al., 2019]. Ein weiterer Ver- lust kann durch das Abdecken des Gaumens mit prothetischen Versorgungen provoziert werden. Dadurch ändert sich die Wahl der Speisen. Insgesamt stehen Obst und Gemüse seltener auf dem Speiseplan, da es vielen Senioren nicht mehr schmeckt oder imMund aufgrund eines trockenen Mundes unangenehm ist. Bisweilen liegt es daran, dass der Zugang zu bestimmten Lebens- mitteln schwerer wird. Zudem werden mit nachlassender Kaukraft weniger Fleisch, faserreiche oder ballaststoffreiche Lebens- mittel und Vollkornprodukte zu sich genom- men. Dadurch werden oftmals deutlich we- niger Eiweiß und dafür mehr Kohlenhydrate zugeführt. Während bei jüngeren Menschen die Empfehlung von täglich 0,8 Gramm Pro- tein pro Kilogramm Körpergewicht gilt, schlagen verschiedene Gremien, unter an- derem die WHO, für Ältere eine Aufnahme von 1 bis 1,3 Gramm Protein pro kg Körper- gewicht vor [Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 2017], für Senioren mit Grund- erkrankungen, in Krankheits- und Heilungs- phasen oder gebrechliche Senioren gelten sogar noch höhere Werte (Ausnahme: Nie- renerkrankungen). Eine Unterversorgung mit Proteinen steigert das Risiko für einen massiven Abbau von Muskelmasse (Sarko- penie), was das Risiko für Stürze, Immobili- tät und damit den Eintritt in eine Abwärts- spirale bis hin zur Immobilität erhöht (Ab- bildung 1). Eine Mangelernährung geht weiterhin mit einem erhöhten Risiko für Infektionserkrankungen, Wundheilungs- störungen und einer reduzierten Immun- kompetenz einher [Hernández Morante et al., 2019]. Eine Übersicht über die wichtigs- ten Folgen einer Mangelernährung kann Tabelle 1 entnommen werden. Adipositas Neben der Mangelernährung spielt auch die Adipositas (BMI größer 30) bei Senioren eine Rolle, wobei die Prävalenz ganz un- abhängig von der Lebenssituation im Alter aufgrund der oben genannten Gründe ab- nimmt und bei etwa 15 bis 30 Prozent liegt; Personen in Pflegeheimen sind seltener be- troffen. Die allgemeinen Gründe für eine Adipositas unterscheiden sich nicht von denen jüngerer Menschen – ein Übermaß an Energiezufuhr im Verhältnis zum Energie- verbrauch führt zu einer Speicherung der überschüssigen Energie in Fettreserven. Be- stimmte Medikamente, die zu einer Ver- änderung der Stoffwechsellage führen, beispielsweise Neuroleptika, Antidepressiva, Betablocker sowie Glukokortikoide oder Anti- diabetika, können ebenfalls dazu beitragen. Wie bei jüngeren Personen sind auch bei adipösen Senioren gewichtsreduzierende Maßnahmen angebracht, um Folgen des zu hohen Gewichts zu mindern. Allerdings soll- ten derartige Maßnahmen im Alter deutlich vorsichtiger gestaltet werden. Bei der Ge- wichtsreduktion muss insbesondere auf eine ausreichende Proteinzufuhr geachtet wer- den, um einemMuskelabbau und damit der Gefahr einer Immobilisierung sowie einer Gebrechlichkeit (Frailty) vorzubeugen [Shah et al., 2017]. Als besonders problematisch ist ein übermäßiger Muskelabbau bei gleichzeitiger Zunahme an Fettgewebe an- zusehen (sarkopene Adipositas); bestimmte Grunderkrankungen (neurodegenerative Grunderkrankungen, inflammatorische Pro- zesse, endokrine Störungen) können diesen Prozess verstärken. Eine sarkopene Adipositas ist oft mit einer erhöhten Insulinresistenz und dem ver- mehrten Auftreten des metabolischen Syn- droms assoziiert [Choi, 2016]. Hier gestaltet Ursachen von Mangelernährung bei älteren Menschen Physiologische Altersveränderungen Körperliche Beeinträchtigungen Geistige und psychische Beeinträchtigungen Soziale Aspekte Allgemeinerkrankungen Gewohnheiten Institutionelle Faktoren Tabelle 2: Ursachen von Mangelernährung bei älteren Menschen, Quelle: Schlüter & Groß [nach Volkert, 2015] Nachlassen von Durst und Hunger Veränderung des Geschmacks- und Geruchsinns Kaustörungen Schluckstörungen Manuelle Einschränkungen (Probleme in der Zubereitung, Zuführung von Nahrung) Mobilitätseinschränkungen (Probleme der Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln) Vergesslichkeit, Verwirrtheit, Delir, Demenz Depressionen, psychiatrische Störungen Bewusstseinsstörungen, Apathie, Tag-Nacht-Rhythmus verändert Einsamkeit, Isolation, Verwahrlosung Fehlende Unterstützung Einschneidende Ereignisse (Tod eines Angehörigen, Heim) Armut Gastrointestinale Beschwerden oder Erkrankungen Akute und chronische Schmerzen oder Erkrankungen Medikamenteneinnahme und -nebenwirkungen Unverträglichkeiten, Allergien Restriktive Ernährung, geringe Essmengen Einseitige Ernährung Alkoholismus Nicht bedürfnisgerechtes Essensangebot Schlechte Essensumgebung Schlechter Personalschlüssel in Betreuungseinrichtungen 66 Fortbildung Ernährung und Mundgesundheit
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=